Zukunft der Verbände

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ZdK-Präsident Prof. Thomas Sternberg. Foto: Bistum Essen

Manchmal sind es die Nebentöne, die aufhorchen lassen. In ihrem Lob für das Papstschreiben „Amoris Laetitia“ sind sich Dr. Franz-Josef Overbeck und Prof. Thomas Sternberg zwar einig. Beide sehen die Kirche auf einem heilsamen Weg der Selbstkritik. Doch der Bischof von Essen und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ziehen daraus durchaus auch unterschiedliche Schlüsse, wie ihre jüngste Diskussion in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ deutlich machte. Den wohl größten Dissens hatten sie indes in der Frage, ob auch die Verbände weiterhin einen Platz in der katholischen Kirche haben sollten. Das sorgte im Nachhinein für Raunen unter Auditoriumsteilnehmern.

Das nachsynodale Papstschreiben und seine Entstehung seien eine Weiterentwicklung der Lehre, wie man sie in den Jahrzehnten zuvor nicht mehr für möglich gehalten habe, befand Overbeck. Für Sternberg steht fest, dass es jetzt „wieder die Chance einer Annäherung von Lehre und Praxis“ gebe. „Als Christ fühlt man sich wieder angenommen, weil die Probleme gesehen werden“, sagte der ZdK-Präsident, der darauf hinwies, dass der Papst „nicht den Weg über die einzelnen Bischofskonferenzen eingeschlagen“ habe, sondern „den Einzelfall unter dem Primat der Nächstenliebe“ betrachte.

Sternberg und Overbeck blickten über den engeren Themenrahmen des Papstschreibens hinaus und nahmen auch die kirchliche Entwicklung insgesamt in den Blick. Trotzdem überraschte es nicht nur Sternberg, welchen weiten Bogen der Bischof schlug.

Verteidigung der Verbände

Overbeck erklärte, das Papstschreiben „Amoris Laetitia“ lasse sich auch als ein Versuch deuten, „nach dem Ende der Volkskirche neu eine Kirche im Volk zu definieren“. Es gehe aber nicht nur darum, Vokabeln auszutauschen und Dinge „etwas peppiger“ zu sagen, sondern um einen wichtigen Schritt: die Lehre der Kirche weiterzuentwickeln. „Was heißt ‚katholisch‘? Was lässt sich für alle verbindlich formulieren? Worin besteht die Einheit? Was hält die Institution Kirche zusammen?“ Das Leben in seiner Komplexität spiele heute eine größere theologische Rolle als jemals zuvor. Entsprechend müsse die Seelsorge Lebensprozesse begleiten, anstatt Vorgaben zu machen. Viele Formen kirchlichen Lebens stammten aus den letzten beiden Jahrhunderten und hätten vor allem für Jüngere keine Relevanz mehr, so Overbeck.

Als Konsequenz für die Pastoral möchte Overbeck die Seelsorge künftig thematisch ausgerichtet wissen, wie er auf Nachfrage aus dem Publikum erklärte. Noch geschehe die Orientierung immer an Gruppen und Gruppierungen, Verbänden und Organisationen und an den Themen, für die diese stehen. „Das ist nicht mehr unsere Kultur, in der wir leben“, sagte Overbeck und ließ damit keinen Zweifel aufkommen, dass er den Verbänden keine große Bedeutung zumisst: Diese Sozialformen hätten keine große Attraktivität mehr, wiewohl ihre Themen dennoch weiterhin wichtig seien.

Sternberg widersprach dem Bischof in dessen Einschätzung vehement. Es sei viel zu pauschal zu sagen, „die Verbände sind ohne Strukturen und nur noch Köpfe“. Sicherlich hätten Verbände mit Problemen und auch Überalterung zu kämpfen. Doch meisterten sie diese sehr unterschiedlich. Und er benannte positive Entwicklungen – gerade in den Jugendorganisationen. Bei den Pfadfindern gebe es Mitgliederzuwächse, „auch weil konkrete Aufgaben wie die Flüchtlingshilfe an junge Menschen herangetragen werden“. Sternberg warnte davor, die bestehenden Gesellungsformen nicht mehr ernst zu nehmen: „Die haben wir wenigstens noch“, sagte der ZdK-Präsident und machte die Verbände somit sogar zu einem Kern kirchlichen Lebens. Aber er forderte auch: „Die Verbände müssen sich wieder stärker Themen widmen.“

Katholiken seien auch heute noch gefragt, „wenn wir unseren Dienst als einen an der Gesellschaft sehen“, betonte Sternberg. Dabei gehe es nicht um den erhobenen Zeigefinger und um Besserwisserei, sondern um eine argumentative Auseinandersetzung. Das habe sich bei der Debatte rund um die Sterbehilfe und Palliativmedizin gezeigt.

Vor allem aber forderte Sternberg eine stärkere Letztverantwortung der Laien. „Sie sind nicht nur Helfer des Amtes und Berater in Gremien.“ Laienautonomie müsse neu gedacht werden, in einer Zeit, in der die Versorgung der Gemeinden mit Priestern katastrophal sei. „Wir brauchen aber unsere Eucharistiefeiern. Wir brauchen Priester“, erklärte der ZdK-Präsident.

spe

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