«Solche Situationen provozieren die Frage nach Gott»

Weihnachten feiern Christen die Ankunft Gottes in der Welt. Ob und wie er in Zeiten von Terror, Krieg und Gewalt präsent ist, darüber spricht der Kölner Theologen Hans-Joachim Höhn im Interview.

Herr Professor Höhn, angesichts terroristischer Anschläge, Syrienkrieg, Flüchtlingen, Rassismus, Hassreden und selbstherrlicher Präsidenten scheint Gott weit weg zu sein.

Höhn: Die Frage ist für mich nicht, wie es in einer solchen Welt um die Nähe oder Ferne Gottes steht. Zunächst zeigt sie, dass wir einen Verlust an Humanität, Gerechtigkeit und Friedfertigkeit zu beklagen haben.

Prof. Hans-Joachim Höhn, bei einer Diskussion in der Wolfsburg im September 2016. Foto: Achim Pohl/Bistum Essen

Prof. Hans-Joachim Höhn, bei einer Diskussion in der Wolfsburg im September 2016.
Foto: Achim Pohl/Bistum Essen

Aber viele Menschen erwarten in bedrückenden Zeiten Hilfe vom Himmel…

Höhn: Meist geht der Blick nach oben nicht ganz so weit. Die Hoffnungen richten sich eher auf politische oder wirtschaftliche Mächte und Gewalten. Wer die Weihnachtsgeschichte liest, findet dafür einen Beleg. Kaiser Augustus befriedete die Welt mit militärischen Mitteln. Sein Name deutet an, wie nahe er damit dem Himmel gerückt ist. Er galt als «anbetungswürdig». Aber auch sein Regime versetzte die Menschen in Angst und Schrecken. Ohne die permanente Drohung mit Waffengewalt hatte sein Friede keinen Bestand.

Was bedeutet denn dann die Weihnachtsbotschaft «Fürchtet euch nicht»?

Höhn: Es braucht nicht immer die Androhung von Gewalt, um Menschen das Fürchten zu lehren. Die Berufung auf Gott kann den gleichen Effekt haben. Wo er ins Spiel gebracht wird, kann man sogar Ängste verdoppeln. Der Ruf des Engels richtet sich an Menschen, die ohnehin ständig in Angst und Sorge leben. Wenn sie auf Nachtwache sind, müssen sie auf der Hut sein vor wilden Tieren oder Räubern. Schon der geringste Anlass schreckt sie auf und kann sie in Panik versetzen. Es gibt kein menschliches Gefühl, das so mächtig ist wie die Angst.

Und was ist die Antwort Gottes darauf?

Höhn: Der Ruf der Engel klingt wie eine Entwarnung. Wo Gott ins Spiel kommt, muss der Mensch nicht zusammenzucken und sich klein machen. Zugleich steckt darin eine Enttäuschung: Wer es mit Gott zu tun bekommt, muss darauf gefasst sein, auf eine Wirklichkeit zu treffen, die sich nicht groß aufspielt.

Eine Welt, die sich der Logik der Macht und der Verängstigung verschrieben hat, ist mit diesen Mitteln nicht zu retten.

Inwiefern kann Gott dann «Retter der Welt» sein?

Höhn: Eine Welt, die sich der Logik der Macht und der Verängstigung verschrieben hat, ist mit diesen Mitteln nicht zu retten. Ein mit Waffen hergestellter Friede trägt schon den Keim für neue Gewalt in sich. Solange Menschen sich fürchten müssen vor Rache und Vergeltung, gibt es keinen Frieden. Dazu müsste der Kreislauf durchbrochen werden, bei dem die Angst des Menschen um sein eigenes Leben immer wieder dazu führt, andere Menschen mit Gewalt zu bedrohen. Nur wenn der Mensch sich im Leben und Sterben unbedingt geborgen weiß, kann diese Angst ihre Macht verlieren.

Warum kehrt Gott mit seiner Allmacht die fürchterlichen und ungerechten Verhältnisse nicht einfach um?

Höhn: Ein solches Verständnis von Allmacht wird ja gerade in der Weihnachtsgeschichte infrage gestellt. Hier geht es um die Größe Gottes, die abseits von jeder innerweltlichen Machtausübung zu finden ist. Mit der Allmacht Gottes ist ein Vermögen gemeint, das ihn als Schöpfer charakterisiert: Ohne Gott gäbe es nichts. Nur auf ihn geht der Unterschied von Sein und Nichts zurück. Einen größeren Unterschied gibt es nicht. Und es gibt keine größere Macht, als zwischen Sein und Nichts zugunsten des Lebens zu entscheiden. Dieses Verständnis von Allmacht ist radikaler und umfassender als die Vorstellung, Gott könne nach Belieben die Naturgesetze aufheben oder die Gesetze der Logik auf den Kopf stellen.

Wenn darin Gottes Allmacht besteht, kann er die Opfer von Gewalt nicht vor Leiden und Schmerzen bewahren?

Höhn: Diese Rechnung geht nicht auf. Wir müssen uns vorher klar machen, was eigentlich das Leidvolle am Leiden ist. Geht es dabei nicht um die Erfahrung, dass wir uns intensiv selbst spüren und uns dabei zugleich verlieren? Wir verlieren im Leid die Möglichkeit der Selbstbestimmung. Jetzt regiert nur noch der Schmerz. Wir hängen an Schläuchen und Apparaten. Wir vereinsamen. Wir sterben den sozialen Tod vor dem biologischen Tod. Beides müsste nicht sein. Menschen können einander beistehen und zumindest das Leiden am Leiden lindern.

Bei aller Mitmenschlichkeit – warum lässt denn Gott Miseren wie Krankheiten oder Erdbeben zu?

Höhn: Beim letzten Erdbeben in Italien wäre die Zahl der Opfer viel geringer gewesen, wenn es dort nicht so viel Pfusch am Bau gegeben hätte.

Okay. Aber was ist mit Leiden, bei dem der Mensch seine Finger nicht im Spiel hat? Was hat Gott sich dabei gedacht?

Höhn: Ich kann nur hoffen, dass keine Absicht Gottes dahinter steckt. Welches höhere Gut soll es denn geben, das es rechtfertigen könnte, dass ein Mensch in den Wahnsinn hinein gequält wird? Natürlich gibt es Leid, das zu groß für den Menschen ist und das zum Himmel schreit. Diesen Schrei verstehe ich aber nicht als Ende des Redens von Gott, sondern als Beginn.

Können Sie das näher erläutern?

Höhn: Viele Menschen geben den Glauben auf, wenn sie in eine Situation geraten, in der alles gegen die Existenz eines mächtigen und gütigen Gottes spricht. Ich meine aber, dass in solchen Situationen die Frage nach Gott erst provoziert wird: Wie kann ich zu mir und meinem Leben noch «Ja» sagen, wenn es in meinem Leben zu viel Negatives gibt, zum dem ich ohne Wenn und Aber «Nein» sagen muss.

Manch einer empfindet das als ziemliche Zumutung.

Höhn: Es ist eine Ermutigung, die Frage nach Gott offen zu halten. Sie kommt aus der Erfahrung eines Widerstreits, dessen Ausgang offen ist.

Von Andreas Otto(KNA)