Das Bistum Essen wird der Staatsanwaltschaft Essen 41 Akten möglicher Missbrauchsfälle zur Verfügung stellen. Dies sei das Ergebnis eines gemeinsamen Gesprächs im Essener Generalivikariat vom Donnerstag, erklärte Oberstaatsanwältin Anette Milk, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Essen, Neues Ruhr-Wort auf Anfrage.
„Wir rechnen mit den Unterlagen in den nächsten Tagen“, sagte Milk. Da die Bistumsgrenzen und der Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschat Essen nicht deckungsgleich seien, sei es möglich, dass die Ermittler Akten nach einer ersten Sichtung auch an benachbarte Behörden abgeben.
„Wir sind keiner Aufforderung nachtgekommen, sondern hatten das Gespräch schon vor längere Zeit von uns aus gesucht“, sagte Bistumssprecher Ulrich Lota dem Neuen Ruhr-Wort. In den betreffenden Fällen müsse man davon ausgehen, dass es sich bei den Beschuldigten tatsächlich um Täter handle. Schon seit Jahren bestehe „ein guter Kontakt“ zu der Ermittlungsbehörde. So sei bereits die bischöfliche Verfahrensordnung zum Umgang mit Hinweisen auf sexuellen Missbrauch durch Kleriker mit Staatsanwaltschaft, Landgericht und Polizei abgestimmt worden.
Das Bistum möchte mit seinem Schritt dem Eindruck entgegenwirken, „wir würden vielleicht etwas vertuschen wollen“, sagte Lota. So hat das Ruhrbistum der Staatsanwaltschaft auch angeboten, die Kölner Anwaltskanzlei Axis von der Schweigepflicht zu befreien.
Axis hatte schon 2012, vor dem Start der bundesweiten Missbrauchsstudie der Katholischen Kirche hatte das Ruhrbistum, alle Personalakten von Priestern und Diakonen mit dem Ziel zu untersuchen, jegliche Anhaltspunkte auf gegebenenfalls in Betracht kommende sexuelle Missbrauchsfälle durch nicht verstorbene Kleriker ohne Anonymisierung zu dokumentieren. Auf die Ergebnisse der Untersuchung dieser insgesamt 1549 Personalakten konnten nun auch die MHG-Forscher zugreifen.
Das Gespräch habe nicht im Zusammenhang mit den angekündigten Anzeigen einer Gruppe von Strafrechtsprofessoren um den Passauer Holm Putzke gestanden, erklärte Anette Milk. Diese hatten vor zwei Wochen laut eines Berichts des Spiegel erklärt, Anzeige gegen unbekannt erstattet und sie bei Staatsanwaltschaften im Bezirk jeder Diözese eingereicht zu haben. Den Eingang einer solchen Anzeige könne sie für Essen bislang nicht berstätigen, sagte die Behördensprecherin.
Das Bistum Essen hat seit seiner Gründung 1958 nach eigenen Angaben „mindestens 85 Opfer von sexuellen Übergriffen“ und 60 beschuldigte Geistliche verzeichnet. 19 Priester seine verurteilt worden: sieben von ihnen straf- und kirchenrechtlich, vier nur strafrechtlich und acht nur kirchenrechtlich. Für die anderen 41 Priester gebe es ernstzunehmende Hinweise auf Missbrauchstaten, so das Bistum.
Im Zusammenhang mit der im September veröffentlichten Missbrauchsstudie hatten Kritiker der katholischen Kirche immer wieder vorgeworfen, der Justiz keine Akteneinsicht zu gewähren. Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, und etliche Bistümer haben „volle Kooperationsbereitschaft“ mit der Justiz angekündigt. Dem „Spiegel“ (Samstag) sagte Ackermann jetzt, man wolle die Archive für unabhängige Fachleute öffnen: „Es ist klar, dass die nun folgende Aufarbeitung keine interne Sache mehr sein kann.“ Über das Thema wollen die Bischöfe auch zu Wochenbeginn während ihres Treffens beim Ständigen Rat in Würzburg beraten.
Boris Spernol