Offen für Wunder

15-07-11-Titel-NRW_28Der Papst stellt in Südamerika neue Wegmarken für die Familiensynode auf.

In der ersten Predigt seiner Südamerika-Reise, im ecuadorianischen Guayaquil, legt der Papst eine Bibelstelle aus, die alle kennen. Doch seine Interpretation hat es in sich – und stellt Weichen für die Familiensynode im Herbst. Mehr als eine Million Menschen sind in die größte Stadt Ecuadors, nach Guayaquil, gekommen, um Franziskus zu sehen und zu hören. Seinen sanften, leisen argentinischen Singsang, sein Lachen, seine Umarmungen, seine Menschlichkeit. „Willkommen, Papst Franziskus, Held der Bescheidenheit!“, steht auf einem selbstgemalten Plakat. Als er predigt, hat der Papst es nicht leicht, nach den Begeisterungsstürmen für seine Person die nötige Aufmerksamkeit für seine Botschaft zu finden. Die hat er in eine Auslegung des „Weinwunders“ bei der Hochzeit zu Kanaan gekleidet. Die Zuhörer kennen diesen Text, bei dem Waschwasser aus Krügen in Wein für eine Hochzeitsgesellschaft verwandelt wird, beinahe auswendig. Doch die Auslegung des Papstes hat es in sich. In einer theologisch ausgefeilten, zugleich anspruchsvollen und ansprechenden Predigt spricht er über die Familie. Er findet so schöne Sätze wie den, dass sich der Glaube und die Muttermilch mischen und den: „Wenn man die Liebe der Eltern erfährt, spürt man sich der Liebe Gottes nahe.“ Er preist die Familie als Schule des Lebens und als Verwirklichung der göttlichen Liebe. Und dann stellt er neue Wegmarken für die mit Spannung erwartete Familiensynode auf, die im Oktober zu einer Zerreißprobe für die katholische Kirche werden könnte. Neue Art zu sprechen Erstaunlich ist, wie viel differenzierter und kreativer der Papst auf Spanisch predigt, weil er diese Sprache mit mehr Nuancen spricht als das Italienische. Inhaltliche Unschärfen verhindert dies freilich nicht. Er ruft die Gläubigen auf, im Vorfeld der Synode dafür zu beten, dass „alles was uns unrein erscheint, Skandal verursacht oder uns Angst macht“ von Gott in ein Wunder verwandelt wird. „Die Familie heute braucht solche Wunder“, fügt er unter dem Beifall der Menschen hinzu und macht ihnen Hoffnung. Weiter sagt er: Jesus trinkt den Wein am liebsten mit jenen, die spüren, dass alle Krüge zerbrochen sind. Unter dem internationalen Pulk der Vatikan-Experten, die dem Papst wie auf jeder Reise folgen, entbrennen sofort Debatten darüber, wen und was Franziskus mit diesen Sätzen wohl meint. Der Papst selbst ließ dies in Guayaquil offen, doch der Kontext war offensichtlich das, was er als „dauerhafte, fruchtbare Liebe“ bezeichnete. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi beeilte sich, zu erklären, dass der Papst „keine speziellen Gruppen oder Situationen“ gemeint habe. Also weder die Schwulen noch die Geschiedenen. Sondern eben alle Sünder und alle nach Liebe Dürstenden. Eine neue Art zu sprechen und die Dinge zu sehen, die sich in Familien ereignen, ist das dennoch. Ausdrücklich spricht der Papst davon, dass die eigentlichen Wunder in der Familie oft fernab geschehen von Idealen oder dem, „was sein soll“. Im Kontext Südamerikas, in dem Familienmoral und Familienideale vor allem im bürgerlich-katholischen Milieu bis heute sehr hoch, mitunter auch zu hoch gehalten werden, bedeuten diese Worte eine Öffnung.    Ludwig Ring-Eifel Mehr zum Thema in unserer aktuellen Ausgabe.

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