Ein Abschied auf Zeit

Amigonianer_Anno_910Gelsenkirchen. Nach der Messe in der St.-Elisabeth-Kirche in Gelsenkirchen-Heßler wird Pater Anno Müller am Sonntag wohl viele Hände schütteln. Denn der Leiter der Amigonianer-Niederlassung nimmt nach 22 Jahren Abschied, wenngleich nur auf Zeit: Für ein Jahr hat ihn der Provinzobere Pater José-Angel Lostado nach Dos Hermanas, in die Nähe von Sevilla entsandt. In Spanien übernimmt Pater Anno die Aufgabe des Novizenmeisters seines Ordens. Im Interview erzählt er Boris Spernol von seiner neuen Aufgabe und wie die Arbeit des Ordens in Gelsenkirchen weitergeht.

?Pater Anno, was wird Ihre Aufgabe in Spanien sein?

!Wir haben das große Glück, dass zwei motivierte junge Spanier in unsere Ordensgemeinschaft aufgenommen werden wollen. Dazu müssen sie ein Jahr lang das Noviziat absolvieren, das ist gleichsam die „Grundausbildung“, bevor sie ihre Gelübde ablegen und in unsere Gemeinschaft aufgenommen werden können. Ich soll die beiden von Ende August bis zum September 2016 auf ihr zukünftiges Leben in unserem Orden vorbereiten. Dieser Auftrag ist für mich persönlich eine große Ehre und auch eine Herausforderung, die wesentlichen Inhalte des Ordenslebens in dieser Phase der großen Veränderung in unserer Kirche an die nächste Generation zu vermitteln.

 ?Wie geht es denn mit der Arbeit in Gelsenkirchen weiter?

!Wir haben die Stellvertretung für mich so organisiert, dass die Jugendarbeit in Gelsenkirchen gut weiter laufen kann. Schon jetzt möchte ich mich bei all denen bedanken, die mit ihrer Bereitschaft und ihrem Engagement dazu beitragen werden, mir die Wahrnehmung dieser neuen Aufgabe bis zu meiner Rückkehr zu ermöglichen. Pater Ralf aus Köln wird in rechtlicher Hinsicht die Leitung übernehmen. Er ist Großpfarrer und hat Erfahrung in Leitungsfunktionen. Er wird regelmäßig nach Gelsenkirchen kommen und mit den Fachkräften Teamsitzungen abhalten. Die Einrichtungsleiter vor Ort werden noch mehr Verantwortung übernehmen. Außerdem haben wir seit Ostern eine Sekretärin, die sehr viel managt und die Kommunikation organisiert, bei der wir die Stunden aufstocken werden. Und Pater Alois wird stärker in Repräsentationsangelegenheiten einspringen.

?22 Jahre an einem Ort sind eine lange Zeit. Die Amigonianer in Gelsenkirchen und Pater Anno – das gehört für viele fast unverrückbar zusammen…

!Ja, es ist in der Tat schon etwas ungewöhnlich. Normalerweise wechseln wir schon nach sechs oder zehn Jahren. Aber wir sind in Deutschland nur sechs Mitglieder, und es ist schwierig, mal so eben einen anderen Mitbruder von Spanien hierhin zu schicken, allein schon wegen der Sprache. Deutsch zu lernen, dauert mindestens zwei Jahre. Aber wir haben jetzt einen Interessenten, der gerne unserem Orden beitreten möchte und der in der Vorstufe zum Noviziat ist. Er wird mich jetzt in der Kommunität vertreten. Er ist Soziologe und hat in Norwegen studiert, sodass ihm das „Nordische“ nicht fremd ist. Er spricht Englisch und wird hier Deutsch lernen. Er wird an den Nachmittagen im Jugendtreff präsent sein, um Erfahrungen, zu sammeln. Pater Alois ist sein geistlicher Anleiter.

?Sein Noviziat müsste nächstes Jahr aber in Spanien stattfinden?

!Das steht heute noch nicht fest. In Spanien ist das Haus, das dafür gut geeignet ist und mehrere Vorteile bietet. Es liegt 20 Minuten vom Zentrum Sevillas entfernt, in der Vorstadt. Und es gibt in Sevilla mehrere Orden, die dort ihr Noviziat haben, das heißt, es gibt ein sogenanntes Internoviziat, das einmal in der Woche stattfindet und wo bis zu 15 Novizen zusammenkommen. Das ist natürlich gut, wenn man nur zu zweit ist, noch mehrere Gleichgesinnte zu haben, die auf demselben Weg sind. Auch für mich ist das eine Bereicherung. Ich habe mit den anderen Novizenmeistern kollegiale Beratungen. In der Kommunität dort sind noch sechs Mitglieder, die sich auch an der Ausbildung der Novizen beteiligen.

 ?In Spanien zu leben ist sicherlich auch noch einmal eine besondere Erfahrung.

!Natürlich. Das Umfeld in Andalusien ist noch sehr katholisch. Die Volksfrömmigkeit ist noch tief verwurzelt. Spanien ist meine zweite Heimat, nachdem ich dort ja selber mein Noviziat gemacht habe. Ich lebe ja auch die ganze Zeit hier in Deutschland mit Spaniern zusammen. Es ist also kein Bruch, aber es ist noch einmal eine Chance, aus dem Alltag hier herauszukommen, aus dem Tagesgeschäft, wo ich auch immer wieder Präsenz zeigen muss. Nach 22 Jahren in der Jugendarbeit ist es auch eine Gelegenheit für eine persönliche Auszeit, zum Abstandgewinnen und für eine gründliche Reflexion der Veränderungsprozesse, die wir als Orden durchleben. Einfach mal zur Ruhe zu kommen und etwas zu lesen und sich Gedanken zu machen. Mich mit den beiden Novizen gemeinsam auf den Weg zu machen, wie Ordensleben aussehen kann im 21. Jahrhundert – mit kleineren Zahlen, auch mit der Sorge um die alten Mitglieder. Mal sehen, was der Geist uns so eingibt. Es ist mehr klösterliches Leben. Hier in Gelsenkirchen bin ich immer viel unterwegs. Um auf eine innere Zentrierung zu kommen, den Blick nach innen zu wenden, ist es schon wichtig, dass ein fester Rahmen da ist.

?Das bietet gewiss auch theologisch noch einmal neue Perspektiven.

!Ja, ich nutze die Zeit auch dazu, eine Weiterbildung, die ich in Münster bei den Kapuzinern zur Theologie der Spiritualität angefangen habe, zu Ende zu bringen. Ich muss noch die Abschlussarbeit schreiben. Das ist noch einmal ein größerer Batzen von 150 Seiten, den ich bisher noch nicht geschafft habe. Und das ist eine Chance, die sich da noch einmal bietet: mich in die Bücher zu vertiefen und auch etwas zur Spiritualität zu schreiben, das ich nachher hier auch wieder nutzen kann für Mitarbeiter, interessierte Laien, und das als spirituelle Basis zur Verfügung steht.

Gedruckt erschienen in: Neues Ruhr-Wort Nr. 33 vom 15. August 2015. Ihnen hat unser Bericht gefallen? Sie können unsere Wochenzeitung hier ganz bequem abonnieren.

INFO
Der Orden der Amigonianer besteht weltweit aus etwa 400 Brüdern. Ungefähr die Hälfte davon sind zum Pries­ter geweiht, wobei Brüder und Patres weitgehend gleichberechtigt sind. Die Amigonianer sind aufgeteilt in vier Ordensprovinzen, denen jeweils ein Provinzial vorsteht. Die Mitbrüder in Deutschland, die in den Niederlassungen in Gelsenkirchen und Köln leben, gehören zur spanischen Provinz. In Köln machen die Amigonianer sozial orientierte Seelsorge, in Gelsenkirchen stadtteilorientierte Kinder-, Jugend- und Familienarbeit.

Der gebürtige Kölner Anno Müller (48) trat den Amigonianern direkt nach dem Abitur 1986 bei. Er ist Sozialpädagoge, Priester, Jugendseelsorger, Straßenfußballer, Jogger und hat gerne die Gitarre dabei.

Foto: Achim Pohl/Bistum Essen