Die Essener Kirchen haben zur öffentlichen Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen am Freitag, 26. Februar, ein Gemeinsames Wort veröffentlicht, das mit „Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe sind die wichtigsten Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben“ überschrieben ist. Unterzeichner sind Dr. Jürgen Cleve, Stadtdechant des katholischen Stadtdekanats Essen, Pfarrerin Marion Greve, Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Essen, und Pastor Lars Linder, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Essen (ACK), sowie Altfrid Norpoth, Vorsitzender des Katholikenrates in der Stadt Essen.
„In vielen Begegnungen dieser Tage verbinden sich Traurigkeit und Hoffnung. Angst und Streit stehen neben Solidarität und großer Offenheit. Kritik an einzelnen Standorten und der Protest gegen das, was wir aufgeben müssen und hinnehmen sollen, verbindet sich in der Wahrnehmung mit dem vielfältigen Bemühen um eine gelingende Integration von Flüchtlingen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“, heißt es in dem Schreiben. Dies alles werde überlagert von der bundesweiten Diskussion, von menschenverachtenden Äußerungen in den Sozialen Netzwerken und Internetforen und jenen beschämenden Bildern etwa aus dem sächsischen Clausnitz, „die für eine neue Dimension des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit stehen“.
Ende 2015 waren in den Essener Flüchtlingsunterkünften 4271 Menschen untergebracht. Bleibt der Zuzug von Flüchtlingen in diesem Jahr auf dem Niveau von 2015, werden der Stadt Essen weiterhin vom Land Nordrhein-Westfalen 533 Flüchtlinge pro Monat zugewiesen. Das sind 6400 im Jahr. Den Ausgleich aus dem Jahr 2015 eingerechnet, werden dringend insgesamt 8400 neue Unterkunftsplätze benötigt. Wenn es sie nicht gibt, droht Wohnungslosigkeit für Männer, Frauen und Kinder. „Aus vielen Stimmen spricht in diesen Tagen die Sorge um den sozialen Frieden in der Stadt. Das ist verständlich und wir nehmen diese Sorgen sehr ernst. Mit vielen Verantwortlichen sehen wir, das Massenunterkünfte auf Dauer problematisch sind. Dennoch sind sie Orte, an denen erste Not gelindert und Hilfe geleistet wird“, heißt es weiter.
Die Essener Kirchen „treten weiter dafür ein, angemessene, kleinere Wohneinheiten zu finden und zu errichten“. Angesichts der Größe der Herausforderungen und des Zeitdrucks der anstehenden Entscheidungen werde es andererseits jedoch schwer werden, schnell eine Lösung zu finden, die allen gleichermaßen gerecht und von allen akzeptiert wird. Eine Entscheidung über verschiedene Standorte sei nach langer, intensiver und kontroverser Diskussion von den Mitgliedern des Rates getroffen worden. Sie ist nun Grundlage dafür, wo Flüchtlinge untergebracht werden. „Die Sorge um jeden Menschen, der in Not geraten ist, bleibt jedoch Aufgabe der ganzen Stadtgesellschaft und damit auch unserer Gemeinden und Einrichtungen. Gerechtigkeit ist nicht nur eine Frage von Standorten“, schreiben die Unterzeichner.
„Helfen Sie mit, dass Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit in unserer Stadt nicht gewinnen – sondern Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit uns mit allen verbinde, die nach Versöhnung und Frieden suchen!“
Insofern sei der Umgang mit Flüchtlingen eine Bewährungsprobe: „Was trägt uns, wie kann der Alltag der verschiedenen Menschen in unserem städtischen Gemeinwesen gelingen? Trotz vieler Fragen und auch nachvollziehbarer Kritik, bei allen Sorgen und Einwänden müssen wir uns immer wieder daran erinnern, dass Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe zu jeder Zeit die wichtigsten Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben sind. „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ Das Jesus-Wort aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 25, Vers 35) erinnere daran, dass sich in der Bibel zahlreiche Zeugnisse finden lassen, die die Erfahrungen von Verfolgung und Flucht aufgreifen. Die Gebote der Bibel forderten immer wieder dazu auf, die Fremden zu schützen und sie zu lieben wie sich selbst. „Vor diesem Hintergrund sehen wir es als eine unserer grundlegenden Aufgaben an, für verfolgte und gefährdete Menschen einzutreten. Wir stellen uns an die Seite der Menschen, die in unserem Land Zuflucht suchen. Die Erfahrungen aus der Flüchtlingsarbeit zeigen, dass sich dieser Einsatz nicht nur in positiver Weise auf die jeweilige Kirchengemeinde auswirkt, sondern auch für Frieden im ganzen Stadtteil sorgt.“ Jedes Bemühen, Flüchtlinge kennenzulernen und ihre Geschichte zu hören, helfe, Fremdheit und Ängste zu überwinden und führt zu einem Miteinander in Nächstenliebe. „So werden Andere nicht mehr als Bedrohung der eigenen Existenz wahrgenommen, sondern als von Gott geschaffene und von ihm geliebte Mitmenschen.“
Flüchtlinge seien „ein Teil des Alltags in unserer Stadt und sie brauchen uns“. Ihre Integration in Kindergarten und Schule, in der Ausbildung und im Arbeitsplatz und allen Bereichen des kulturellen Lebens sei eine große Herausforderung, die bewältigt werden müsse. Die Unterzeichner werten die Hilfsbereitschaft, die Flüchtlingen hier in Essen entgegengebracht werde als gutes Zeichen. „Da ist so viel gabenorientiertes, großartiges Engagement – in Sprachkursen, bei der Versorgung mit Kleidung, bei der Gewährung von Obdach, in der Begleitung bei Behördengängen, bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten.“ Allen, die ehrenamtlich oder beruflich, ob aus Kirche, Diakonie und Caritas vor Ort, aus Zivilgesellschaft, Staat oder Politik, helfen, Flüchtlinge zu begleiten und zu beteiligen gelte deshalb der Dank.
„Wir erleben dieser Tage auch, dass Menschen, die sich in der Flüchtlingsbegleitung ehrenamtlich engagieren und helfen, nicht selten an ihre Grenzen kommen“, schreiben die Kirchenvertreter in ihrer Erklärung. Das gelte „zum einen für ihre eigenen, persönlichen Kräfte“, doch zusätzlich werde die Hilfsbereitschaft dadurch belastet, „dass manche Freunde, Verwandte und Nachbarn auf das Engagement für Flüchtlinge mit Ablehnung und Unverständnis reagieren“. Es sei wichtig, die Kirchengemeinden Räume für Unterstützung, gegenseitige Hilfe, Trost und Seelsorge bieten. „Und wir ermutigen die Seelsorgerinnen und Seelsorger, sich der Menschen, die in ihrem ehrenamtlichen Engagement an Grenzen stoßen, besonders anzunehmen, ihnen Zeit zum Zuhören und zur Ermutigung zu schenken.“
Das Gemeinsame Wort der Kirchen in Essen schließt mit einem Appell „an alle unsere Gemeinden, Dienste und Einrichtungen, in ihrem Engagement nicht nachzulassen und sich zugleich entschieden allen rassistischen Ressentiments entgegenzustellen“. Weiter heißt es: „Helfen Sie mit, dass Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit in unserer Stadt nicht gewinnen – sondern Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit uns mit allen verbinde, die nach Versöhnung und Frieden suchen! Dafür erbitten wir Gottes Segen.“