Leere Plätze in Chile, Distanzierung in Argentinien und viel Zuspruch in Peru: Die Reise von Papst Franziskus nach Chile und Peru wird als eine der Reisen in die Geschichte eingehen, die wohl die unterschiedlichsten Emotionen hervorgerufen hat. Bislang brandeten dem argentinischen Kirchenoberhaupt auf nahezu jeder Reise zurück auf seinen Heimatkontinent fast ausnahmslos Jubel und Begeisterung entgegen. Das war diesmal anders.
Ob es an der vielleicht etwas unglücklichen Vorbereitung der Reise nach Chile lag oder vielleicht auch am Papst selber: In Chile wollte der Funke der Begeisterung nicht so recht überschwappen. Zu schwer lastete der Konflikt um Missbrauchsfälle auf der chilenischen Kirche.
Seine Treue zu Bischof Juan Barros aus Osorno, den er für unschuldig hält, Missbrauchsfälle vertuscht zu haben, ist zwischenmenschlich nachvollziehbar. Doch die chilenische Öffentlichkeit hat ihr Urteil schon gefällt. Mit diesem Urteil geriet auch der Papst in die Mühlen des Skandals.
Einen Schlussstrich gibt es noch nicht: Ganz im Gegenteil, durch die Solidarität mit Barros bekommt der Fall eine neue Fallhöhe. Wird Barros doch noch ein Fehlverhalten nachgewiesen, wird auch Franziskus Schaden nehmen. Der erhoffte Befreiungsschlag für die chilenische Kirche war die Papstreise nicht, trotz klarer und deutlicher Worte des Papstes zu den Missbrauchsfällen.
Erleichtert dürfte dagegen die Regierung in Santiago sein. Franziskus schwieg zum Konflikt mit Bolivien, das einen im historischen Salpeterkrieg gegen Chile verlorenen gegangenen Meereszugang einfordert und dessen Präsident Evo Morales gerne öffentlich versucht, den Papst für seine Zwecke zu instrumentalisieren.
Zur Kenntnis genommen haben wird der Papst den medialen Gegenwind aus Argentinien. Die argentinische Presse nannte den Chile-Besuch die „schlechteste Visite in den fünf Jahren des Pontifikats“.
Scharfe Kritik
Dass weitaus weniger Argentinier über die Grenze nach Chile gereist sind, um ihren Papst zu sehen, ist ebenfalls eine Überraschung. Längst wird das Fernbleiben des Papstes in Argentinien auch negativ gewertet. Die konservative Medienlandschaft geht nun deutlich distanzierter mit dem Papst um, was auch daran liegt, dass Franziskus offenbar nach wie vor mit den konservativ-bürgerlichen Kräften Lateinamerikas fremdelt. Auf der anderen Seite ist nun klar: Viel Platz, seinem Heimatland aus dem Weg zu gehen, hat der Papst nicht mehr. Es fehlt eigentlich nur noch eine Reise ins brandgefährliche und politisch hochbrisante Venezuela, auf die vor allem oppositionelle Kräfte hoffen dürften. Und eben nach Argentinien und Uruguay. Bis dahin bleibt den argentinischen Bischöfen nur, gebetsmühlenartig zu wiederholen, wie es Erzbischof Jorge Lozano in diesen Tagen tat: „Wenn Gott will, wird diese Reise bald sein.“
Und Peru? Hier hatte der Papst wieder ein Heimspiel. Voll besetzte Gottesdienste und begeisterte Pilger an den Straßenrändern. Dazu Themen, die Franziskus wie auf den Leib geschneidert sind: Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und der Schutz von Minderheiten. Die katholische Basis in Peru hat den Papst deutlich begeisterter aufgenommen als in Chile. Etwas befremdlich wirkten manchmal die Begegnungen mit Vertretern indigener Völker. Ihre folkloristischen Gastspiele vor einem auf dem Thron sitzenden Papst hatten bisweilen etwas von kolonialer Unterwürfigkeit wie einst vor dem spanischen Vize-König. Aucan Huilcaman, einer der prominentesten Sprecher der Mapuche in Chile, kritisierte das scharf: Der Papst habe nur Mapuche getroffen, die ein „Produkt der Dominanz und des Kolonialismus“ seien. Wenn Franziskus den Nachfahren der Ureinwohner aber auf Augenhöhe begegnete, hatte dies stets die meiste Strahlkraft und Sympathie. Vielleicht ein Fingerzeig, wie künftig Papstreisen organisiert werden könnten.
Ein „Straßenbischof“ sein.
Ein armes und reiches, ein katholisches und korruptes Land: Vier Tage hat Papst Franziskus Peru besucht. Er zeigte Rückhalt für die Völker Amazoniens, sprach vor der politischen und gesellschaftlichen Elite, reiste zu Opfern des Wetterphänomens El Niño in Trujillo, bestärkte Priester und Ordensleute. Natürlich fehlten nicht unzählige Begegnungen am Rande mit Kranken, Kindern, einfachen Gläubigen. Zum Abschluss stand eine große Messe im Süden Limas auf dem Programm. Gerade am letzten Tag wurde deutlich, vor welchen großen Aufgaben Franziskus die Kirche des Landes sieht. Noch einmal redete er den Bischöfen ins Gewissen. Er legte ihnen nahe, die „Bequemlichkeit des Bischofshauses“ zu verlassen, engen Kontakt zu ihren Seelsorgern zu halten und – eine eigentümliche Wortschöpfung von Franziskus – ein „Straßenbischof“ zu sein. Menschen, die den Papst von seiner Zeit als Erzbischof in Buenos Aires kennen, erzählen gern, wie er mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch zu Fuß bei jedem Wetter unterwegs war. Den Bischöfen Perus nennt er genau das als Merkmal eines guten Hirten: abgenutzte Schuhsohlen.
Als Vorbild bemüht Franziskus Toribio de Mogrovejo, den vor über 400 Jahren verstorbenen zweiten Erzbischof von Lima, Amtsvorgänger von Kardinal Juan Luis Cipriani, an dessen Dienstsitz das Treffen stattfindet. Das ist auch ein strategischer Zug. Toribio ist ein Heiliger der katholischen Kirche, sodass sein mustergültiger Charakter von den Bischöfen schlecht anzuzweifeln ist. Dabei ist der Episkopat tief gespalten. Eine Ursache liegt noch in der heißen Zeit der Befreiungstheologie, als Papst Johannes Paul II. (1978-2005) mit seinen Bischofsernennungen bestimmten Tendenzen Einhalt zu gebieten suchte. Einer von ihnen ist der Moraltheologe und Opus-Dei-Priester Cipriani. Cipriani sagt, die Kirche Perus brauche mehr sichtbare Einheit. Das sagt auch der Papst. Die Frage ist, was sie jeweils damit meinen.
„Ein Leben ohne Konflikte ist nicht möglich“,
Franziskus wird konkreter, weiter mit dem Volksheiligen Toribio als Gewährsmann: Es geht darum, dass „das geistliche Gut niemals vom gerechten materiellen Wohl getrennt werden kann, besonders wenn die Integrität und Würde der Menschen gefährdet ist“. Es geht darum, dass Glaubensverkündigung nicht echt ist, wenn nicht auch die Schuld gegenüber den schwächsten Brüdern und Schwestern „benannt und verurteilt“ wird. Bischof Toribio, so erinnert der Papst weiter, scheute in seinem Kampf gegen Korruption und Ausbeutung nicht davor zurück, den goldgierigen Gouverneur von Catajambo zu exkommunizieren. Es mag weit hergeholt sein, dabei an den Empfang zwei Tage zuvor im Präsidentenpalast zu denken, wo Franziskus die Bestechlichkeit geißelte und die intensive Rohstoffausbeutung als „überholtes Entwicklungskonzept“ abtat. Auf dem Podium saß Präsident Pedro Pablo Kuczynski, ehemals Bergbauminister.
Peru ist geteilt in Arme und Reiche, Menschen mit und ohne Chancen, Europäischstämmige, Menschen mit gemischter Herkunft und Indigene. Wenn Franziskus mit Toribio mahnt, Geistliche sollten „an der Heiligkeit der Hirten erkennbar sein und nicht an der ethnischen Herkunft“, rührt er an einen noch immer sensiblen Punkt. „Ein Leben ohne Konflikte ist nicht möglich“, sagt der Papst. Aber nötig sei ein aufrichtiger Dialog Auge in Auge, ohne die Vergangenheit zu ignorieren oder darin gefangen zu bleiben. Es sind im Grunde scharfe Mahnungen, die Franziskus den knapp 70 Bischöfen Perus hinterlässt, verpackt jedoch in die erbauliche Betrachtung eines Heiligen aus dem 16. Jahrhundert. Damit bleibt der Papst seiner Pädagogik treu, die Schwachen, Fehlerhaften ihre Stärken entdecken zu lassen. So ermutigt er später die peruanischen Jugendlichen, sie dürften sich, so, wie sie sind, angenommen fühlen. Ähnlich hatte er in Puerto Maldonado die indigenen Völker in ihrer Eigenständigkeit bestärkt und in Trujillo zum Zusammenhalt im Unglück und gegen Verwaltungsmängel aufgerufen. Zu den letzten Terminen des Papstes zählte ein Treffen mit kontemplativen Ordensfrauen. Auch den Nonnen legte er die Notleidenden und Benachteiligten als Gegenstand ihrer Fürbitte ans Herz. Für einen Aufbruch in Peru, scheint es, will Franziskus auf keine Stimme verzichten.
Tobias Kaiser und Burkhard Jürgens