Vatikan: Ethische Forderungen an Finanzwirtschaft

 

Wiederholt hat Papst Franziskus kritisiert, dass bestimmte Formen der Wirtschaft töteten. Mit einem neuen Dokument erläutert der Vatikan nun, wie gesunde Märkte vergiftet worden seien – und was dagegen zu tun ist.

(Archivfoto: © Palinchak | Dreamstime.com)

Diese Wirtschaft tötet“ – das war einer der ersten markanten Sätze von Papst Franziskus in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ von 2013. Ein Satz, der nicht nur bei vielen redlichen Unternehmern für Kopfschütteln sorgte. Gemeint war von Franziskus „eine Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“. Seither folgten viele andere, kritische Aussagen zur Finanz- und Wirtschaftswelt. Mit einem für vatikanische Verhältnisse kurzen Schreiben von knapp 20 Seiten haben am Donnerstag erstmals zwei Vatikanbehörden gemeinsam die kritische Haltung des Papstes auf einem Gebiet näher begründet. Das Dokument „Oeconomicae et pecuniariae questiones“ (Wirtschafts- und Finanzfragen) benennt, was insbesondere in der Finanzwirtschaft dringend reformbedürftig sei.

Erarbeitet und vorgestellt wurde der Text vom „Dikasterium für ganzheitliche menschliche Entwicklung“ unter Kardinal Peter Turkson und der Glaubenskongregation unter Erzbischof Luis Ladaria. Erstere zuständig für den Einsatz der Kirche fürs Gemeinwohl, letztere für die Glaubens- und – was hier wichtig ist! – die Morallehre der Kirche. Zwar äußere sich die Glaubenskongregation seltener zu Wirtschaftsfragen, aber es sei nicht das erste Mal, so Ladaria.

Auch wenn es in den vergangenen Jahren durchaus Korrekturen in der Finanzwirtschaft gegeben habe, sei „ein Überdenken jener überholten Kriterien, die immer noch die Welt beherrschen“, ausgeblieben, heißt es in dem Text. Die Märkte seien nicht in der Lage, sich selbst zu regulieren. Daher müsse die Kirche „an einige klare ethische Prinzipien erinnern“ sowie an Voraussetzungen, die die Märkte selbst nicht schaffen könnten: sozialen Zusammenhalt, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Sicherheit.

Das Dokument ist eine Art Gewissensspiegel für Verantwortliche der Wirtschaft und Finanzwelt – und sei auch aus solchen Kreisen erbeten worden, so Kardinal Turkson. Fast immer wenn er die darin enthaltenen Beobachtungen in Fachkreisen vorgestellt habe, etwa bei der Deutschen Bundesbank, sei man sich einig gewesen: Ja, nach den Exzessen der Finanzkrise brauche es mehr Regulierung. „Wenn es aber um die Folgen ging, herrschte oft Ratlosigkeit“, so Turkson. Durch wen und in welchem Umfang solle Regulierung geschehen?

Konkret beantwortet auch das Vatikandokument dies nicht. Es fordert aber wieder mehr Gestaltungsraum der Politik gegenüber der Wirtschaft sowie wirklich unabhängige, überstaatliche Regulierungssysteme. Einzelne Staaten seien supranationalen Banken, Unternehmen und der Volatilität des Kapitals nicht mehr gewachsen. Zudem kritisiert das Dokument Phänomene wie Schattenbanken und Offshore-Geschäfte. Diese seien mit ethisch zweifelhaften oder klar unerlaubten Praktiken verbunden: Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Intransparenz, Korruption und ungerechten Risikolasten.

Ziel der Reformen müsse sein, dass die Finanzwirtschaft wieder der Realwirtschaft dient. Dazu sei ihr Ursprung, das Kreditwesen, einst erfunden worden. Profit müsse wieder echten Wohlstand schaffen und nicht nur die Konten der Aktionäre füllen. Damit der „große Organismus“ des Marktes gesund bleibe, müsse das Kapital in seinen Adern in sämtliche Glieder und Organe gelangen und nicht nur in einige wenige. Wo Regeln nur noch für die Großen gemacht würden, zerstöre dies „die notwendige Biodiversität der Finanz- und Wirtschaftswelt“, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler Leonardo Becchetti bei der Vorstellung.

„Das Geld muss dienen und nicht regieren.“

Neben rechtlichen Regulierungen müssten die Verantwortlichen selbst den Menschen stärker in den Mittelpunkt stellen und eine stärker ethisch ausgerichtete Geschäfts- und Personalkultur entwickeln. Ethikkommissionen etwa könnten Verwaltungsräten beigestellt werden. Im Übrigen sollten an Universitäten und Business Schools viel stärker anthropologische und ethische Aspekte behandelt werden. Nur so könnten künftige Akteure wieder zu einem konstruktiven Partner für Politik und Gesellschaft machen, mahnt der Mailänder Wirtschaftswissenschaftler Lorenzo Caprio. Oder wie das Dokument sagt: „Das Geld muss dienen und nicht regieren.“

Neben den Verantwortlichen der Finanzwelt will das Dokument auch anderen Menschen Orientierung geben, so Ladaria. Für Katholiken sei es eingebunden in das Lehramt der Kirche. Entsprechend betonte Kardinal Turkson: „Als Konsument oder Anleger kann jeder etwas tun und mit seinen Kaufentscheidungen auf das Gemeinwohl einwirken“ – damit nicht, wie der Papst kritisiert, die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ fortschreitet.

Von Roland Juchem (KNA)