Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer fordert, dass die Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz nach Bekanntwerden ihrer Ergebnisse durch Medienveröffentlichungen sofort allen deutschen Bischöfen zugänglich gemacht wird. „Wir brauchen sie dringend, noch heute“, sagte sein Sprecher Clemens Neck der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf Anfrage am Montag in Regensburg. „Es ist ein Unding, wenn die Studie der ‚Zeit‘ und dem ‚Spiegel‘ vorliegt, die Auftraggeber sie aber noch nicht in den Händen halten.“
Offiziell soll die „Studie über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Geistliche“ von den beauftragten Forschern bei der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe am 25. September in Fulda vorgestellt werden. Mehrere Medien berichten seit einer Woche vorab. Neck sagte dazu, den Berichterstattern sei deshalb kein Vorwurf zu machen. „Dass Medien so eine Information unter dem Deckel halten, kann man wirklich nicht erwarten.“ Den Vertrauensbruch habe „ein anderer“ begangen. Bischof Voderholzer bedaure aber sehr, sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter äußern zu können, weil er die Untersuchung noch nicht kenne.
Der Sprecher sagte, der Bischof wolle „die Studie zunächst gut durchschauen und eventuell auch Fachleuten vorlegen, damit wir die Aussagekraft ihrer Ergebnisse richtig bewerten können“. Es gehe ihm auch darum, die Untersuchung „in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen“. Bei einer Pressekonferenz am 25. September werde die Diözese die in die Studie eingeflossenen Regensburger Daten transparent machen. Danach werde sich der Bischof mit einem Hirtenwort an alle Gläubigen wenden.
Laut Neck sind die publizierten zusammengefassten Zahlen „furchtbar, aber nicht wirklich neu“. Sie gäben nur wieder, was einzelne Diözesen in unterschiedlichen Formen bereits berichtet hätten. Wichtiger seien Erkenntnisse der Studie, mit denen sich die kirchliche Aufarbeitung und Prävention verbessern ließen.
Der Sprecher erinnerte zudem an die Vergebungsbitte Bischof Voderholzers, mit der sich dieser anlässlich der Veröffentlichung des Berichts zu den Regensburger Domspatzen vor einem Jahr anstelle der Täter an die Betroffenen gewandt hatte. Die Übergriffe seien „für diese Menschen eine Katastrophe, die nicht selten ihr ganzes Leben prägt“. Der Bischof habe sich bereits mit vielen Geschädigten getroffen und sei auch weiterhin zum Gespräch bereit. Er wolle wissen, was geschehen sei, und alles in die Wege leiten, um geschehenes Unrecht anzunehmen und den Opfern zu helfen, „mit diesem leidvollen Kapitel ihres Lebens Frieden zu schließen, soweit das auch immer möglich ist“.
In der aktuellen Missbrauchsdebatte haben die Bistümer Osnabrück und Rottenburg-Stuttgart am Montag erste Zahlen vorgelegt. Demnach fanden sich in den Osnabrücker Akten aus den Jahren 1946 bis 2015 Hinweise auf 68 Betroffene und 35 Beschuldigte. In Rottenburg-Stuttgart wurden in einem anderen Verfahren seit 2002 Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen 146 Geistliche, Ordensleute und weitere Kirchenmitarbeiter untersucht. Das schwäbische Bistum hat etwa dreimal so viele Priester wie Osnabrück.
Die deutschen Bischöfe wollen eine mit Spannung erwartete bundesweite Studie in der kommenden Woche bei ihrer Vollversammlung in Fulda zur Kenntnis nehmen. Erste Ergebnisse wurden vergangene Woche durch Medienberichte bekannt. Demzufolge gab es zwischen 1946 und 2014 in Deutschland 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe von mindestens 1.670 Geistlichen. Der komplette Titel der Untersuchung lautet „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“.
Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst sagte vor Journalisten, er wolle der Veröffentlichung in Fulda nicht vorgreifen. In seiner Diözese gelte bei Missbrauch die Maxime „Null Toleranz“. Weiter hieß es, in sieben Verfahren wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Zwei Täter wurden aus dem Klerikerstand entlassen. Die Diözese hat Betroffenen 640.000 Euro als Anerkennung für erfahrenes Leid ausgezahlt. Zudem habe man Therapiekosten in Höhe von 130.000 Euro übernommen.
Als bundesweit erste Diözese habe Rottenburg-Stuttgart bereits 2002 eine unabhängige Kommission eingesetzt, die allen Hinweisen auf Missbrauch oder Grenzüberschreitungen nachgehe. „Wir sind auf dem richtigen Weg und wollen gleichzeitig unsere Arbeit bei Prävention und Aufarbeitung immer wieder neu überarbeiten und anpassen“, so der Bischof.
Osnabrücks Generalvikar Theo Paul erklärte in einem Schreiben auf der Internetseite des Bistums, die Erkenntnisse über den Missbrauch seien durch Akteneinsicht und durch Rückmeldungen von Betroffenen ermittelt worden. Beschämend sei es, festzustellen, „in welch furchtbarem Ausmaß sich Geistliche unserer Kirche dieses Verbrechens schuldig gemacht haben“. Die systemische Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche stehe erst am Anfang. Dabei müsse ein besonderes Augenmerk auf der Aufdeckung von Machtstrukturen gelten, die Missbrauch begünstigten.
Unterdessen erklärte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer, dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche einen „sehr intensiven Reinigungsprozess“ zur Folge hat. „Danach wird die Kirche eine andere sein“, sagte Pfeffer am Montag in der WDR5-Radiosendung „Tagesgespräch“. Es mache „fassungslos“, wenn nun mit der von der Kirche in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studie „das ganze Ausmaß dieses Missbrauchsskandals offenbar wird“. Umso wichtiger sei es, dass Opfer sexuellen Missbrauchs „Raum bekommen, damit diese Geschichten erzählt werden“, so Pfeffer. Es gehe darum, „dass wir mitbekommen, was im Namen unserer Kirche passiert ist, dass wir demütig werden und alles dafür tun, das so etwas nie wieder passiert“, betonte Pfeffer in der einstündigen Sendung, bei der WDR5-Hörer live anrufen und Fragen stellen konnten.
Generalvikar Pfeffer und WDR5-Moderator Jürgen Wiebicke wurden in der Sendung mit sachlichen Nachfragen und Anmerkungen, aber auch mit sehr persönlichen Geschichten von tiefen Verletzungen konfrontiert. Pfeffer hob angesichts mehrfacher Nachfragen nach dem Umgang mit möglichen Missbrauchstätern hervor, dass esmin solchen Fällen heute nicht nur kircheninterne Ermittlungen gebe: „Heute werden Missbrauchsfälle zur Anzeige gebracht, selbstverständlich arbeiten wir mit den Staatsanwaltschaften zusammen.“ Zumindest in diesem Punkt „haben wir aus dem Systemversagen gelernt“, so Pfeffer.
Pfeffer bekräftigte in der Radio-Sendung, was Bischof Overbeck am Wochenende allen Kirchengemeinden des Ruhrbistums in einem Brief geschrieben hatte: Dass als Konsequenz aus der Missbrauchsstudie auch die Sexualmoral der Kirche sowie Hierarchie- und Strukturfragen auf den Prüfstand müssten. Die Studie empfehle, dass die Kirche manche ihrer hohen moralischen Ansprüche in Frage stelle, so Pfeffer. In der Vergangenheit sei Sexualität in der Kirche geradezu „verteufelt“ worden. Der Generalvikar machte zudem die weltweite Dimension des Themas deutlich – zum einen mit Blick auf die Schwierigkeit, moralische Fragen in der Weltkirche weiter zu entwickeln, und zum anderen hinsichtlich der konkreten Frage von Missbrauchsfällen. Meldungen aus vielen verschiedenen Ländern lassen Pfeffer befürchten, „dass es ein weltweites Problem ist“. Pfeffer sieht ein „Systemproblem“ und eine „große Krise der katholischen Kirche“, die eine ernsthafte Anfrage an die Relevanz der Organisation Kirche stelle.