Der von den katholischen Bischöfen vorgelegte Maßnahmenkatalog gegen Missbrauch hat kritische Reaktionen hervorgerufen. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, reagierte am Donnerstag mit Zurückhaltung. Einen historischen Wendepunkt, an dem sich die katholische Kirche befinde, habe er noch nicht erkennen können, sagte er in Berlin. Er hätte einen konkreten Fahrplan für eine Umsetzung von Maßnahmen erwartet.
Rörig schlug vor, dass die Bischöfe einen solchen Fahrplan vor dem von Papst Franziskus im Februar anberaumten Welttreffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zum Thema Missbrauch vorlegen. Zugleich betonte er, die Bischöfe hätten inzwischen aber „den Ernst der Lage“ erkannt. Sie sollten nun zügig das Gespräch mit Betroffenen suchen. Rörig kündigte an, er selbst wolle in den kommenden Wochen das Gespräch mit Innen- und Justizministerium sowie dem Bundestag suchen, um gemeinsam zu überlegen, wie die katholische, aber auch die evangelische Kirche bei der Aufarbeitung unterstützt werden könnten.
Der katholische Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller drang auf rasches Handeln. „Wir müssen nicht noch bis zum Sankt-Nimmerleinstag weiter erörtern, inwieweit die Sexuallehre der Kirche, das Pflichtzölibat, die negative Einstellung zur Homosexualität eine Rolle spielen beim sexuellen Missbrauch von Priestern.“ Die Kirche müsse jetzt Konsequenzen ziehen aus dem, „was wir schon seit Jahrzehnten wissen“. Die Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ zeigte sich enttäuscht über den Sieben-Punkte-Plan. „Diese dürftigen Ankündigen lassen uns fassungslos zurück“, heißt es in einem Statement.
Die Initiative „Wir sind Kirche“ erklärte, die Erklärung der Bischöfe bestehe aus Absichtserklärungen und Willensbekundungen. „Die sehr allgemein formulierte Erklärung lässt nicht konkret erkennen, wann, wie und mit wem die von dem Forschungskonsortium als notwendig erachtete konkrete Aufarbeitung der institutionellen Verantwortung der römisch-katholischen Kirche in Deutschland in Angriff genommen wird.“ Vor allem bleibe weiterhin unklar, ob die Bischofskonferenz sich auf ein einheitliches und gemeinsames Vorgehen habe einigen können.
Der Deutsche Caritasverband erklärte, die Studie sei ein wichtiger Schritt. Sie mache nicht nur auf Ursachen aufmerksam, sondern gebe Hinweise, um Risikokonstellationen zu minimieren. Die Caritas arbeite kontinuierlich an der Verbesserung des institutionellen Schutzes. Kinder und Jugendliche sowie erwachsene Schutzbefohlene sollten die Einrichtungen der Caritas als Schutz- und Kompetenzorte erleben.
Auch die Grünen äußerten sich. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Katja Dörner sagte, die Maßnahmen müssten nun „zügig und konsequent umgesetzt werden“. Wichtig sei, dass die katholische Kirche die nun geäußerte Kritik der Betroffenen an der bisherigen Aufarbeitung „ernst nimmt und aufgreift“. Ihr Leid müsse nun „vollumfänglich anerkannt und konkrete, auch finanzielle Unterstützung sicher gestellt werden“. Am Freitag wird die Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche interessierten Bundestags-Parlamentariern vorgestellt.
kna
Wie die Bischöfe Missbrauch verhindern und bekämpfen wollen
Fragen und Antworten zum 7-Punkte-Plan gegen Missbrauch
Nach den schockierenden Befunden der neuen Studie zum sexuellen Missbrauch durch Geistliche haben die katholischen Bischöfe in Deutschland erste konkrete Maßnahmen beschlossen, um die Taten weiter aufzuarbeiten und künftigen Missbrauch so gut es gehtl zu verhindern. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert die einzelnen Schritte des 7-Punkte-Plans und weitere Hintergründe:
Grundsätzliches:
Die Bischöfe machen ausdrücklich die Empfehlungen des Forschungskonsortiums „zur Grundlage“ ihres weiteren Handelns“. Manche der Empfehlungen bedürften allerdings noch längerer rechtlicher Klärungsprozesse, so dass sie zunächst sieben erste Schritte zeitnah umsetzen wollen. Das sei keine unverbindliche Absichtserklärung, betont die Bischofskonferenz. Alle Bischöfe hätten sich verbindlich dazu verpflichtet.
Punkt 1: Einbeziehung von Opfern und von externen Fachleuten
Wie von Opfern und Opferverbänden gefordert, wollen die Bischöfe „mehr als bisher die Begegnung mit den Betroffenen suchen“. Vor allem aber sollen diese mit ihren Erfahrungen aktiv mitarbeiten bei der Aufarbeitung der Missbrauchstaten und bei der Prävention. Bei der Aufarbeitung sollen zudem externe Fachleute helfen. „Wir brauchen Hilfe von außen, denn das bisherige institutionelle Versagen ist mehr als deutlich“, betonte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.
Punkt 2: Standardisierung in der Führung der Personalakten
Damit reagieren die Bischöfe auf die Feststellung der Wissenschaftler, die bisherige Aktenführung „ohne einheitliche Standards“ habe die Dokumentation und Aufarbeitung der Missbrauchsfälle erheblich erschwert und Vertuschen erleichtert. Zudem habe es Hinweise auf Vernichtung und Manipulation von Akten gegeben. All dem sollen einheitliche Standards entgegenwirken.
Punkt 3: Zusätzliche unabhängige Anlaufstellen
Zusätzlich zu den diözesanen Ansprechpersonen für Fragen sexuellen Missbrauchs soll es externe, unabhängige Anlaufstellen geben. Auch damit reagieren die Bischöfe auf die Kritik von Opferverbänden und Experten, die betonen, dass es für viele Betroffene undenkbar sei, sich an Anlaufstellen zu wenden, die zur „Täterinistitution“ Kirche gehören.
Punkt 4: Verbindliches Monitoring für Intervention und Prävention
Diese bundesweite Einrichtung ist unter anderem eine Antwort auf die Kritik der Forscher, die Bistümer gingen sehr uneinheitlich vor bei der Prävention und bei der Umsetzung der Leitlinien gegen Missbrauch. Das Monitoring soll regelmäßig offenlegen, was jedes einzelne Bistum konkret unternimmt in Sachen Prävention und Missbrauchsbekämpfung.
Punkt 5: Überprüfung der Anerkennungsleistungen an Opfer
Das Verfahren von 2010 zu „Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids“ wird überprüft und fortentwickelt. Hier seien durchaus auch höhere Zahlungen denkbar, betonte Kardinal Marx, zumal man bisher das Versagen der gesamten Institution Kirche noch nicht so deutlich vor Augen hatte wie jetzt nach der Studie.
Punkt 6: Klärung der institutionellen Verantwortung
„Ohne eine unabhängige Aufarbeitung gibt es keine wirksame Veränderung und Gerechtigkeit“, betonen die Bischöfe. Daher wollen sie mit Hilfe unabhängiger externer Stellen klären, wer über die einzelnen Täter hinaus institutionell Verantwortung getragen hat, etwa für die Vertuschung von Taten oder für die Versetzung von Missbrauchstätern.
Punkt 7. Diskussion über Zölibat und Sexualmoral
Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie gehört die These, dass auch der Zölibat, die katholische Sexualmoral, Klerikalismus und andere Strukturelemente der Kirche Missbrauch begünstigen könnten. Darüber wollen die Bischöfe „ohne Tabus“ diskutieren, wie Kardinal Marx betonte. Und das nicht intern, sondern „in einem transparenten Gesprächsprozess“ zusammen mit externen Fachleuten wie Medizinern, Psychologen und Soziologen.
Von Gottfried Bohl (KNA)