Arbeitsrechtler kritisiert Gerichtsurteil zu kirchlichen Stellen

Der Bochumer Arbeitsrechtler Jacob Joussen, der auch Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, hat das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur kirchlichen Einstellungspraxis kritisiert. „Die Entscheidung hat die Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) gemacht hat, offensichtlich sehr eng umgesetzt“, sagte Joussen der „Rheinischen Post“ (Freitag). Die Caritas kündigte unterdessen an, sie wolle als katholischer Wohlfahrtsverband noch gründlicher prüfen, wann eine Religionszugehörigkeit erforderlich ist.

Jacob Joussen (Foto: EKD)

Das Bundesarbeitsgericht hatte am Donnerstag einer konfessionslosen Sozialpädagogin eine Entschädigung zugesprochen, die bei einer Stellenausschreibung der Diakonie nicht zum Zuge gekommen war. Sie sei wegen ihrer fehlenden Kirchenzugehörigkeit ungerechtfertigterweise benachteiligt worden, urteilte das Gericht unter Berufung auf das Europarecht.

„Spielraum nicht genutzt“

Joussen erklärte, das BAG habe den dort eröffneten Spielraum nicht genutzt. Gerade bei der fraglichen Stelle wäre es auch vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung möglich gewesen, die Kirchenzugehörigkeit zu verlangen. Dass die Richter in Erfurt dem nicht gefolgt seien, sei überraschend, sagte Joussen weiter. Er hält eine Fortsetzung des Streits in Karlsruhe für möglich: „Die Diakonie wird überlegen müssen, ob man das vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lässt. Denn jetzt fallen BAG und EuGH auf der einen und Bundesverfassungsgericht auf der anderen Seite weit auseinander.“ Die Diakonie hatte schon erklärt, sie prüfe, Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einzulegen.

Evangelische Kirche und Diakonie hatten sich in ersten Reaktionen enttäuscht geäußert. Die mit den Vorgaben des EuGH begründete Entscheidung weiche erheblich von der bisherigen deutschen Rechtsprechung zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ab, erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Nichtchristen könnten an vielen Stellen in Kirche und Diakonie arbeiten. Die Anforderung an die Kirchenmitgliedschaft werde nicht willkürlich gestellt.

Identität als kirchliche Einrichtung gestalten

Caritas-Präsident Peter Neher erklärte, es müsse konsequent der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Nachvollziehbarkeit angewendet werden. Unabhängig von der Entscheidung des BAG wollten Einrichtungen und Dienste der Caritas weiterhin ihre Identität als kirchliche Einrichtung gestalten. Entscheidend für den Caritasverband sei, dass der kirchliche Charakter und die christlichen Werte der Einrichtungen und Dienste erkennbar blieben.

Unterdessen begrüßte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Urteil. Die Kirchen müssten in jedem Einzelfall gerichtsfest begründen, warum eine bestimmte Religionszugehörigkeit nötig sei. In einem anderen Urteil hatte der EuGH im April entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal die Zugehörigkeit zu einer Kirche verlangen dürfen.

Grüne wollen Rechtsreform

Die Grünen wollen eine Initiative zu einer Reform des Gleichbehandlungsgesetzes in den Bundestag einbringen. Das kündigten der religionspolitische Sprecher Konstantin von Notz und der sozialpolitische Sprecher Sven Lehmann am Freitag in Berlin an. Zur Begründung erklärten die beiden Abgeordneten, das Gericht habe einmal mehr klargestellt: Auch kirchliche Arbeitgeber müssten ihre arbeitsrechtlichen Entscheidungen einer gerichtlichen Kontrolle unterwerfen.

Dabei müsse stets zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen und dem Recht der Arbeitnehmer abgewogen werden. Die Frage sei nicht nur für Konfessionslose, sondern auch für Andersgläubige, Homosexuelle und Wiederverheiratete von großer Bedeutung. Das Gesetz müsse deshalb umgehend reformiert werden. Das Urteil sei ein weiterer, wesentlicher Schritt für mehr Rechtsklarheit für die etwa 1,3 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen in Deutschland. Die Kirchen hätten zwar ein verfassungsrechtlich verbrieftes Selbstbestimmungsrecht. Dieses habe aber auch Grenzen, wie es die Entscheidung bestätigt habe.

kna/rwm

 

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