Für 41 Prozent der Katholiken war Austritt schon Thema – Warum sie dennoch bleiben

41 Prozent der Katholiken in Deutschland haben einer Studie zufolge schon einmal über einen Kirchenaustritt nachgedacht. Das geht aus einer am Dienstag in München vorgestellten repräsentativen Studie hervor. Davon seien 7 Prozent fest entschlossen; 21 Prozent dächten manchmal daran, blieben dann aber vermutlich dabei.

Für die Studie im Auftrag der katholischen Unternehmensberatung MDG und der Erzdiözese München und Freising hatte das Heidelberger Sinus-Institut 2017 bundesweit 1.369 Katholiken befragt. In den vergangenen Jahren haben jeweils zwischen 0,5 und 1 Prozent der Katholiken ihre Kirche verlassen.

(Symbolfoto: Judith Lorenz)

Zu den Gründen, warum austrittsgeneigte Katholiken letztlich doch in der Kirche bleiben, zählt nach Erkenntnissen der Sozialforscher unter anderem die Bequemlichkeit. Der Gang zum Standesamt und das Ausfüllen eines Formulars seien ihnen zu mühsam. Außerdem gebe es pragmatische Motive, etwa einen kirchlichen Arbeitgeber oder den Wunsch, einmal kirchlich heiraten zu können.

Hauptziel der Studie war es, unterschiedliche Motive für eine Kirchenbindung unter den deutschen Katholiken zu ermitteln. MDG-Projektleiterin Jana Goetzke sagte, sowohl die Forscher als auch die Auftraggeber habe überrascht, wie viele Menschen noch an Jesus Christus glaubten. Etwa 70 Prozent hätten vor allem damit ihre Kirchenmitgliedschaft begründet. Genauso stark sei die Bindewirkung der Familientradition.

Besondere Gottesdienste geschätzt

Besondere Gottesdienste an Hochfesten und zu existenziellen Anlässen wie Taufe, Trauung oder Beerdigung würden sehr geschätzt, ebenso das soziale Engagement der Kirche. Drei Viertel aller Befragten hätten zudem kein Problem damit, über ihren Glauben zu sprechen, hieß es weiter.

Auf der Basis der Erhebung haben die Forscher sieben Typen von Katholiken beschrieben, die sie Bekennende, Gemeindeverwurzelte, Sozial-Fokussierte, Kompromisslos-Beharrende, Dienstleistungsorientierte, Religiöse Freigeister und Entfremdete nennen. Letztere Gruppe ist mit etwa einem Viertel Gesamtanteil die größte. Altersmäßig sind die jüngeren Jahrgänge in den Typklassen mit loser Kirchenbindung besonders stark vertreten.

Angebote stärker nach Zielgruppen differenzieren

Die Unternehmensberater empfahlen den Kirchenverantwortlichen, ihre Angebote stärker nach Zielgruppen zu differenzieren, mehr in die Qualität auch nur punktueller Kontakte zu investieren und von Neuaufbrüchen auch in anderen Konfessionen zu lernen.

Was weiß die katholische Kirche in Deutschland eigentlich über ihre Mitglieder? Man müsste sie einfach einmal fragen. Als am Dienstag in München eine neue Studie des Heidelberger Sinus-Instituts präsentiert wurde, war die letzte vergleichbare repräsentative Erhebung auf Bundesebene immerhin schon 50 Jahre alt. Die Erkenntnisse der aktuellen Umfrage sind dazu angetan, die Sorgenfalten auf den Stirnen der Kirchenverantwortlichen noch einmal zu vermehren. Doch es gibt auch einige überraschende positive Befunde.

Das Datenmaterial ist nicht mehr ganz frisch. Zwischen Ende Juli und Mitte November 2017 wurden bundesweit 1.369 erwachsene katholische Christen interviewt. Jedes Gespräch auf Basis eines standardisierten Fragebogens dauerte im Schnitt eine knappe halbe Stunde. Die katholische Unternehmensberatung MDG und das Erzbistum München und Freising haben es sich 150.000 Euro kosten lassen, um zu erfahren, was Katholiken an ihre Kirche bindet, allen Skandalen und Vorbehalten zum Trotz. Da nicht nach aktuellen Beweggründen, sondern grundsätzlichen Einstellungen gefragt wurde, gehen die Auftraggeber davon aus, dass die Ergebnisse im Wesentlichen bis heute gültig sind.

Tradition der Familie

Schon seit längerem kehren jedes Jahr ein halbes bis ein Prozent der Mitglieder der Institution den Rücken. Doch das ist nur ein Bruchteil derer, die schon einmal über einen Austritt nachgedacht haben, nämlich 41 Prozent aller deutschen Katholiken. Warum die meisten diesen letzten Schritt der Distanzierung scheuen, lässt sich nun auf gut 200 Seiten im Detail studieren.

Die Tradition der Familie entfaltet nach wie vor eine mächtige Bindewirkung. Der Enkel bleibt trotz großer Distanz zur Kirche drin, damit die gläubige Oma nicht weinen muss. Vielleicht braucht er die Mitgliedschaft auch bald noch einmal, und sei es, um die Angetraute auf deren Wunsch vor den Altar zu führen. Und wer weiß, ob man auf den Laden bei der Jobsuche nicht doch angewiesen ist. Für nicht wenige, so hat die Studie erbracht, sind letztlich der Gang zum Standesamt und die dort zu erledigenden Formalitäten zu mühsam.

Glaube als wichtigster Grund

Was Forscher und Auftraggeber gleichermaßen überrascht hat: Jesus Christus „schneidet besser ab als erwartet“, sagte MDG-Projektleiterin Jana Goetzke. 70 Prozent aller Befragten gaben an, der Glaube sei ihr wichtigster Grund, in der Kirche zu sein und zu bleiben. Wichtiger noch, als das geschätzte soziale Engagement der Kirche. Das mit Abstand populärste kirchliche Angebot? Ist der Gottesdienst, vor allem zu Weihnachten und Ostern, aber auch zu Lebenswenden, wenn der Partner geehelicht, ein Kind getauft oder ein Angehöriger zu Grabe getragen wird.

Drei Viertel aller Befragten gaben an, sie hätten kein Problem, über ihren Glauben zu sprechen. Das widerspricht der landläufigen Ansicht, die Christen in Deutschland hätten das weitgehend verlernt. Vielleicht fehlt es dafür nur an Räumen, gab der bei der MDG beschäftigte Theologe Thomas Nahrmann zu denken.

Sieben Katholikentypen geform

In der Studie sind nicht nur Befragungsergebnisse fein säuberlich in Grafiken und Tabellen umgesetzt. Ihrem methodischen Ansatz folgend haben die Heidelberger Sozialforscher aus ihren Daten ein Set von sieben Katholikentypen geformt, von den Bekennenden über die Gemeindeverwurzelten zu den Dienstleistungsorientierten und religiösen Freigeistern.

Die Benennung kann bisweilen zu Kurzschlüssen führen: So sind die „Kompromisslos Beharrenden“ trotz ihres vergleichsweise sehr konservativen Profils „nicht als ignorante katholische Hardliner zu verstehen“, liest man da. So meinten fast die Hälfte der Katholiken dieses Typs, dass sich alle Weltreligionen im Großen und Ganzen ähnlich seien. Auch werde von diesen Katholiken das Frauenbild der katholischen Kirche kritisiert, jedoch weniger oft als im Durchschnitt.

Die Ergebnisse der Studie „Kirchenmitglied bleiben?“ sindauf der MDG-Website nachzulesen.

Von Christoph Renzikowski (KNA)