„Rezept für ein Desaster“ – Theologen diskutieren die Folgen der Missbrauchskrise

Sexualmoral, Zölibat und Klerikalismus – drei Schlagworte aus der Debatte um die Folgen aus der Missbrauchsstudie der katholischen Kirche. Auf einer Tagung in Würzburg haben Theologen dazu nun Stellung bezogen.

„Ein Monolith aus römischen Marmor“, so beschreibt Kai Christian Moritz die Theologie, wie er sie früher erlebt hat. Moritz ist Missbrauchsopfer – „Überlebender“, sagt er. Und der Schauspieler studiert mittlerweile Theologie. Ausgerechnet die Wissenschaft, die der „Täterorganisation das Skript für die Taten“ geliefert habe. Er fragt: „Wie konnte eine so hoffnungsvolle und frohe Botschaft so entstellt und beschmutzt werden?“ 140 Menschen aus Deutschland, Österreich und Lichtenstein suchen darauf Antworten bei einer Fachtagung am Samstag in Würzburg.

Generalvikar Klaus Pfeffer (Foto: Boris Spernol)

Dabei legen einige die Axt am Marmor an. Der Jesuit Godehard Brüntrup etwa stellt die Frage nach dem Zölibat und die Sexualmoral in einen Zusammenhang. Seine These: Die verpflichtende Ehelosigkeit leben kann nur jemand, der reif ist. Und das bedeutet für den Professor an der Münchner Hochschule für Philosophie, derjenige müsse wissen, auf was er verzichte. Das gehe nicht, wenn man sich an die katholische Sexualmoral halte, die Geschlechtsverkehr nur in der Ehe kennt. Der Weg zur personellen Reife führe also nur über die schwere Sünde, so Brüntrup.

„Ein Rezept für ein Desaster“ nennt der Jesuit die verpflichtende Ehelosigkeit. Denn oft sei sie „geschluckt, aber nicht verdaut“. Sie werde als Bedingung zum Priesteramt akzeptiert, aber vielfach finde der angehende Geistliche bestenfalls rationale Argumente dafür. „Die Mehrheit der Priester hat den Zölibat nicht vollständig integriert“, sagt Brüntrup; also keine tiefere Erfüllung in der Ehelosigkeit gefunden. Komme es dann zu Konflikten, könne das fatal sein und Missbrauch begünstigen. Deshalb plädiert er für Wahlfreiheit: Der Zölibat sei unabhängig vom Priesteramt eine eigene Berufung.

Bei der Tagung sind es nicht allein Missbrauchsbetroffene, die persönlich werden. Thomas Schärtl etwa, der als Professor in Regensburg Philosophische Grundfragen der Theologie lehrt, berichtet von seiner Missio, also eine Lehrbeauftragung. Die gab ihm in den USA Theodore McCarrick, damals noch in Amt und Würden. Mittlerweile ist er der erste Kardinal, der dieses Amt wegen sexueller Übergriffe verloren hat. McCarrick sei ein Symbol dafür, „dass Bischöfe im Missbrauchsskandal verstrickt sind“, sagt Schärtl.

Der Regensburger rät ihnen zu klaren Demutsgesten: nur in Soutane, ohne die Insignien der Macht aufzutreten. Auch das Amtsverständnis müsse diskutiert werden. Wenn Priester als Mittler zwischen Himmel und Erde dargestellt würden, sei dies eine Überhöhung, so Schärtl. Er bemüht Kardinal John Henry Newman: Christus habe zur Verkündigung keine Engel geschickt, sondern Menschen.

Sein Kollege und Mitveranstalter, der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Remenyi, sieht die Autorität des Lehramts auf dem Spiel stehen. „Und die Härte der Auseinandersetzung ist der Angst vor diesem elementaren Machtverlust geschuldet.“

Doris Reisinger spricht über die Macht. Ihre Erfahrungen in der geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“ hat sie unter ihrem Mädchennamen Doris Wagner als Buch veröffentlicht. Die neueste Publikation der Theologin befasst sich mit der Frage des spirituellen, also geistlichen Missbrauchs. Das erweitert sie in Würzburg um die Verletzung der intellektuellen Selbstbestimmung. Autoritäten bestimmten, was Gläubige zu denken und zu fühlen hätten, so Reisinger.

Die theologischen Positionen teilt auch der Vertreter der Institution Kirche, der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer. Er kritisiert in Würzburg offen die Überhöhung des Priesteramts, „hochgradig aufgeladen“ sei es. Er stützt die geäußerten Thesen, etwa zur Sexualmoral.

Und der Generalvikar wendet sich gegen die Annahme, der Missbrauchsskandal werde für eine Reformagenda benutzt. „Ich widerspreche der schrecklichen Vokabel vom Missbrauch des Missbrauchs.“ Damit würden Diskussionen vom Tisch gefegt, Menschen mundtot gemacht. „Es hat alles mit allem zu tun“, so Pfeffer. Und der Missbrauch sei nur die Spitze eines Eisbergs vieler anderer Leidensgeschichten. Für den Essener ist klar: Die Kirche muss, sie wird sich radikal verändern. „Die Frage ist nur, ob wir es gestalten können oder ob uns die Entwicklung weiter überrollen wird.“
Von Christian Wölfel