Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss hat einer neuen Caritas-Studie zufolge bundesweit zugenommen. Mit 6,9 Prozent lag der Anteil derjenigen, die nicht einmal den Hauptschulabschluss schafften, im Jahr 2017 um einen Prozentpunkt höher als 2015, wie der katholische Wohlfahrtsverband am Montag mitteilte. Damit sei das gleiche Niveau erreicht wie vor zehn Jahren. Bundesweit seien 2017 rund 52.000 Jugendliche betroffen gewesen.
„Wir sehen mit Besorgnis, dass im Ruhrgebiet die Schulabbrecherquote nach wie vor zum Teil drastisch über dem Landesdurchschnitt liegt“, sagt Sabine Depew, Direktorin der Caritas im Bistum Essen. Während in NRW 2017 im Durchschnitt 6,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler vorzeitig die Schule verlassen (im Jahr 2015: 5,8 Prozent), sind es in Duisburg 7,4 Prozent (2015: 6,6 Prozent), in Essen 8,7 Prozent (2015: 7,7 Prozent) und in Bochum 8,0 Prozent (2015: 6,8 Prozent). Gelsenkirchen hält in der Region erneut den Negativ-Rekord von 12,3 Prozent (2015: 11,9 Prozent).
Ein Faktor, der zu dem Anstieg beitragen hat, ist aus Sicht der Autoren der Bildungschancen-Studie die Zuwanderung. Für viele zugewanderte Jugendliche sei es eine große Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit eine neue Sprache zu lernen und einen Schulabschluss zu machen, hieß es. Hinzu komme, dass die schulische Vorbildung sehr unterschiedlich ausfalle. Ein weiteres Hemmnis gerade auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche bestehe darin, dass sie während der Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung häufig nicht sofort eine Schule besuchen könnten.
„Faire Bildungschancen sind die Grundlage fairer Teilhabechancen im Lebenslauf“, sagte Caritas-Vorständin Eva Maria Welskop-Deffaa. Fehlende Schul- und Berufsabschlüsse seien dagegen oft der Anfang sich potenzierender Nachteile. Viele der jungen Menschen, die ohne Abschluss ihre Schullaufbahn beendeten, tauchten später etwa in den Beratungsstellen für Soziales, Schwangere oder Schuldner auf, warnte Welskop-Deffaa.
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Margit Stumpp, sagte, die Studie müsse Bund und Ländern ein Weckruf sein. „Junge Menschen ohne Schulabschluss werden später häufiger arbeitslos und arbeiten viel öfter in prekären Jobs“, warnte sie. Die Bundesregierung müsse ein umfassendes Förderprogramm für Schulen in schwierigen Stadtteilen auf den Weg bringen. Auch sei Geflüchteten schnell und unbürokratisch der Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss ist in Deutschland unterschiedlich verteilt: In Berlin liegt er bei 11,73 Prozent und auch in Bremen und Sachsen-Anhalt überschreitet er die Zehn-Prozent-Marke. Viel besser stehen im Vergleich Bayern mit 6,00 Prozent sowie Hessen und Hamburg da, wo der Anteil weniger als sechs Prozent ausmacht.
„Unsere Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche zu bilden, damit sie ihr Leben eigenverantwortlich führen können, sind längst noch nicht ausgeschöpft“, so die Essener Caritasdirektorin Depew, die sich als Erziehungswissenschaftlerin intensiv mit dem Thema Bildung und Bildungstechnologien befasst hat. Bildung und Erziehung seien zwei Seiten einer Medaille. „Treffender benutzt man im Englischen den Begriff ´Education`, der die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und -förderung bezeichnet und nicht die Anhäufung von Schulwissen.“
Genau dies finde in den caritativen Einrichtungen statt: In der Jugendhilfe, in Kitas, im offenen Ganztag und den außerschulischen Angeboten. „Für Kinder und Jugendliche mit individuellen Lernbedarf braucht es entsprechende Methoden und Räume. ‚Der Raum ist der dritte Erzieher‘ heißt es nicht nur in der frühkindlichen Bildung.“ Auch digitale Lernmethoden seien eine wichtige Unterstützung, so Depew: „So wie in den 60er Jahren die Sesamstraße in den USA entwickelt wurde, um Kindern in der Bronx Lesen und Schreiben beizubringen, gibt es heute zahlreiche Apps, YouTube-Videos und interaktive Lernspiele, die Lernen und Bildung fördern.“
So böte die digitale Sprachförderung für Zugewanderte Erfolg versprechende Ansätze: „Wer zügig die Landessprache lernen kann, orientiert sich schneller in unserem Schulsystem, macht einen Abschluss und findet anschließend seinen Weg“, so Depew, „dafür muss allerdings zunächst in die Entwicklung digitaler Instrumente und die entsprechende Lehrmethode investiert werden.“ Gehe man diese Lösungen nicht an, sei der Preis hoch: „Vielen der Schulabbrecher begegnen wir später im Hilfesystem wieder – weil sie Schulden haben, ungeplant schwanger werden oder Sozialberatung brauchen.“