Knabenchöre: Engelsgleich oder einfach nur diskriminierend?

Singen Jungen anders als Mädchen? Darf einem Mädchen deshalb die Aufnahme in einen reinen Knabenchor verweigert werden? Mit dieser Frage hat sich jetzt das Berliner Verwaltungsgericht beschäftigt.

(Symbolfoto: David Mark auf Pixabay)

Regensburger Domspatzen, Leipziger Thomaner, Wiener Sängerknaben oder Tölzer Knabenchor: Chöre mit Weltruhm – Knabenchöre. Ihres besonderen Klanges wegen zählen etwa die sächsischen Knabenchöre zum Unesco-Weltkulturerbe. Doch was macht einen Klang zu etwas Besonderem? Wie klingt es, wenn Jungen singen – und zwar nur Jungen? Wie tönt ein reiner Frauenchor, wie ein gemischter? Mit Fragen wie diesen musste sich am Freitag das Berliner Verwaltungsgericht auseinandersetzen.

Die Mutter eines neunjährigen Mädchens, die vor Gericht ihre Tochter als Anwältin vertrat, hatte wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung geklagt. Sie hatte im November 2018 um Aufnahme ihrer Tochter in den Berliner Staats- und Domchor gebeten, einer Einrichtung der Universität der Künste (UdK). Diese lehnte die Aufnahme nach einem Vorsingen mit Verweis auf die Kunstfreiheit ab.

Klangbild gehört zur Kunstfreiheit

Zu Recht, wie das Gericht am Freitag urteilte. „Die Ausrichtung des Klangbildes eines Chores gehört zur Kunstfreiheit“, sagte der Vorsitzende Richter zur Urteilsbegründung. Auch hielt es das Gericht für erwiesen an, dass es einen „Knabenchorklang“ gebe. Die Ablehnung sei insofern nicht an ein biologisches Geschlecht geknüpft.

Bei der vorliegenden Klage, bei der das Recht auf Gleichbehandlung der Geschlechter gegen das Recht der Kunstfreiheit abzuwägen gewesen sei, handele es sich um einen „Pilotfall“, hieß es. Dieser werde möglicherweise in höheren Instanzen weiter behandelt. Die Klägerin habe das Recht, Berufung einzulegen. Es liege, so stellte der Richter fest, eine „mittelbare Ungleichbehandlung“ vor, da Mädchen aufgrund anatomischer Unterschiede einen schlechteren Zugang zum Staats- und Domchor hätten als Jungen.

„Es kommt auf den Resonanzkörper an“

Dies bestätigte auch der Leiter des Chores, Kai-Uwe Jirka, in der Verhandlung und führte aus: In einem Orchester etwa spielten alle Instrumente denselben Ton. Dennoch klinge er unterschiedlich – je nachdem ob eine Geige, ein Cello oder eine Trompete zu hören sind. „Der Ton ist derselbe, die Klangfarbe aber ist eine andere. Es kommt auf den Resonanzkörper an.“

Entsprechend bestünden zwischen Mädchen- und Jungenstimmen anatomische Unterschiede, die zu „differenzierten Chorklangräumen“ führten. Grundsätzlich sei es zwar möglich, dass eine Mädchenstimme dem angestrebten „Klangraum“ eines Knabenchores entsprechen könne. Aufgrund anatomischer Unterschiede und zeitlich verschobener körperlicher Entwicklungsprozesse sei dies aber in der Regel „nur mit Gewalt“ erreichbar und daher „weder erstrebenswert noch pädagogisch verantwortbar“.

Nicht überzeugt

Zudem stelle er sich die Frage, „warum soll ein Mädchen wie ein Junge singen?“ Es gebe verschiedene Klangräume, die alle ihre Berechtigung hätten. „Wenn man die Klangfarben mischt, wird es künstlerisch grau“, so Jirka. Das betreffende Mädchen habe „in Klangkraft und Volumen“ nicht den gleichaltrigen Jungen in seinem Chor entsprochen. Auch einen Jungen mit vergleichbaren künstlerischen Fähigkeiten hätte er abgelehnt. Zudem sei die Motivation des Mädchens nicht ausreichend. Ihre Bewerbungsbegründung „Ich möchte etwas Neues ausprobieren“ habe ihn nicht überzeugt.

Die Klägerin argumentierte dagegen, es sei lediglich eine Frage des Trainings, ob ein Mädchen die spezielle Klangfarbe des Dom – und Staatschors Berlin erreichen könnte. „Es ist klar, dass meine Tochter diese nicht hat, die kann sie doch nur dort lernen.“ Den Verweis auf die fehlende künstlerische Voraussetzung für den Chor halte sie für vorgeschoben. „Ich bezweifle, dass die Ablehnung wegen der Unfähigkeit erfolgt ist. Es ist wegen des Geschlechts erfolgt.“ Für sie gehe es auch um Bildungschancen, die ihrer Tochter verweigert würden. Mädchen seien aus traditionellen Gründen aus Knabenchören ausgeschlossen. In England hätten sich bereits vor 30 Jahren die Kathedralchöre den Mädchen geöffnet.

„Biologisches Geschlecht keine ausschlaggebende Bedeutung“

Für Jirka hätte die Mädchenbewerbung grundsätzlich auch anders ausgehen können, wie er betonte. In seiner 30-jährigen Chorerfahrung habe er einmal erlebt, dass „ein Mädchen eher wie ein Junge klingt“, so der Musiker. „Wenn ein Mädchen in diesen Klangraum hineinpasst, sind wir die ersten, die die Tür ganz weit öffnen“, versicherte Jirka – „gerade in einer Stadt wie Berlin, in der das biologische Geschlecht keine ausschlaggebende Bedeutung mehr hat“.

Von Nina Schmedding (KNA)