Nur einen Tag lang war er der älteste Kardinal der Weltkirche, nach dem Tod des 100-jährigen Kolumbianers Jose de Jesus Pimiento am Dienstag. In Erinnerung bleibt Roger Etchegaray aber als unermüdlicher Friedensbote.
„Gerechtigkeit und Friede küssen sich“, schwärmt der 85. Psalm. Wie weit der Weg zu einem solchen Kuss ist und dass der nicht immer romantisch ist, wussten nur wenige so gut wie Roger Etchegaray. Der lange, hagere Franzose war über Jahrzehnte auf internationaler Bühne der katholische Kirchenmann für Gerechtigkeit und Frieden. Von 1984 bis 1998 leitete er die 1967 von Papst Paul VI. gegründeten Kommission Justitia et Pax (Gerechtigkeit und Friede), die Johannes Paul II. zu einem Rat ausbaute. Nun ist der kurzzeitig älteste der Kardinäle im Alter von 96 Jahren gestorben.
Immer wieder war der „Globetrotter des Papstes“ mit heiklen diplomatischen Missionen beauftragt worden. So entsandte ihn Johannes Paul II. etwa 2003 kurz vor Ausbruch des Irak-Kriegs nach Bagdad, um Saddam Hussein zu einem Einlenken zu bewegen. 2006 schickte ihn Benedikt XVI. (2005-2013) während des Krieges zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz zur Vermittlung in den Libanon.
Der ehemalige Erzbischof von Marseille war immer wieder Teilnehmer der interreligiösen Friedenstreffen, welche die Gemeinschaft Sant’Egidio jährlich organisiert. Und bereits 1989 war Etchegaray ranghöchster katholischer Vertreter bei der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Basel. Zeitweise galt er viele Jahre lang gar als möglicher Papstkandidat.
Für seine Friedensbemühungen erhielt der gebürtige Baske unter anderem den „Ladislaus-Laszt-Preis für ökumenische und soziale Belange“ der Ben-Gurion-Universität in Beerscheva. Mit dem von den Schweizern Nelly und Ladislaus Laszt gestifteten Preis wurde er geehrt als einer, dessen „Taten Toleranz, Hoffnung und Visionen reflektieren – Aspekte, die wesentlich sind für das Überleben der menschlichen Rasse“.
Bevor er 1984 nach Rom ging, leitete der am 25. September 1922 als Sohn eines Landmaschinenmechanikers geborene Etchegaray 14 Jahre lang das Erzbistum Marseille. Zweimal bekleidete er den Vorsitz der Französischen Bischofskonferenz. Acht Jahre lang, von 1971 bis 1979, war er Präsident der Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE. 1979 verlieh ihm Johannes Paul II. die Kardinalswürde, bevor er den Franzosen 1984 nach Rom holte. Dort leitete Etchegaray zeitweise auch den Päpstlichen Rat „Cor unum“ für humanitäre Hilfsaktionen des Heiligen Stuhls.
In den letzten Jahren sorgte Etchegaray mit zwei unfreiwilligen Stürzen für kurze Schlagzeilen. 2010 war er im Petersdom gestürzt und hatte sich einen Beckenbruch zugezogen, als eine junge Schweizerin bei der Weihnachtsmesse die Barrieren übersprang, um sich Papst Benedikt XVI. zu nähern. Fünf Jahre später verlor der mittlerweile 93-Jährige das Gleichgewicht, als Papst Franziskus nach einer Messe im Petersdom auf ihn zuging, um ihn persönlich zu begrüßen. Auch dabei erlitt Etchegaray einen komplizierten Beckenbruch.
Ein Jahr zuvor war Roger Etchegaray die höchste Auszeichnung seines Heimatlandes Frankreich verliehen worden: das Großkreuz der Französischen Ehrenlegion. Premierminister Manuel Valls würdigte ihn damals als engagierten Visionär und großen Franzosen. Er stehe mit seinem Wirken im Dienste des Vatikan auch für den Übergang zwischen den Epochen von Johannes XXIII. (1958-1963) und Johannes Paul II. (1978-2005).
Am späten Mittwochnachmittag, exakt drei Wochen vor seinem 97. Geburtstag, starb der teils knorrige wie auch humorvolle und gebildete Kirchenmann. Wie das südfranzösische Bistum Bayonne mitteilte, wird die Totenmesse für Kardinal Etchegaray am Montag in der Kathedrale von Sainte-Marie de Bayonne gefeiert. Bis dahin hat die Bevölkerung im Altenheim von Cambo-les-Bains, wo Etchegaray zuletzt lebte, Gelegenheit von dem Verstorbenen Abschied zu nehmen.
Auf der Website des Bistums heißt es, Roger Etchegaray sei, versehen mit den Sakramenten der Kirche, „in Frieden und Gelassenheit eingeschlafen“. Seine langjährige Erfahrungen fasste Etchegaray einmal so zusammen: „Der Friede! Nachdem ich ihm so lange gedient habe, ist mir klar, dass Friede in Zeiten des Friedens geschaffen werden muss, viel mehr als in Kriegszeiten.“