Lange, lange Zeit schwelte der Streit – dann kam der große Knall: Am 15. Dezember 1979, am Sonntag vor 40 Jahren, entzog die römische Glaubenskongregation dem Tübinger Theologen Hans Küng die kirchliche Lehrerlaubnis. Sollte der Vatikan sein Handeln als Akt der Disziplinierung eines aufmüpfigen Wissenschaftlers verstanden haben, so ging der Schuss kräftig nach hinten los.
Zwar bezeichnete Küng auch im Rückblick die Phase nach dem Entzug der Berechtigung zur Ausbildung katholischer Theologiestudenten als die schlimmsten Monate seines Lebens, die er auch seinen erbittertsten Gegnern nicht wünschen könne. Aber er verschwand nicht von der akademischen Bildfläche. Als Novum in der deutschen Universitätsgeschichte erhielt Küng, seit 1960 Professor für Theologie und dort zeitweise Kollege des späteren Papstes Joseph Ratzinger, einen fakultätsunabhängigen Lehrstuhl für Ökumene.
Küngs Bücher entfalteten eine für die heutige Theologengeneration völlig unvorstellbare öffentliche Wirkung. Seine Texte wurden in fast jeder Tageszeitung besprochen, die Bücher in mehr als 30 Sprachen übersetzt, und die Gesamtauflage geht in die Zigmillionen. Medial etablierte sich das von Küng stets bekämpfte, aber gleichzeitig gefütterte Bild vom Rebellen, Kirchenkritiker und Gegenspieler des Papstes. Gleichzeitig waren es die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus, die Küng empfingen oder eine handschriftliche Korrespondenz mit dem Gescholtenen pflegten.
Über den genauen Anlass, Küng von der Lehrerlaubnis zu entbinden, gibt es bis heute unterschiedliche Sichtweisen. Sicher ist, dass schon in den späten 1950er Jahren in Rom eine Akte mit dem Namen des Schweizers angelegt wurde. Dabei ging es um eine ganze Reihe ernster theologischer Lehrfragen. Aber vieles spricht dafür, dass erst das 1970 veröffentlichte Buch mit dem schlichten Titel „Unfehlbar?“ das römische System wirklich alarmierte. Denn darin ging es um den Wahrheitsanspruch des kirchlichen Lehramtes und die Verbindlichkeit von dessen Aussagen.
Der Bundespräsident kam Küng zu Ehren nach Tübingen
Küng blieb indes nach eigenem Bekunden ein „loyaler katholischer Theologe“. Wissenschaftlich wandte er sich zunächst dem Dialog zwischen den christlichen Konfessionen und dann dem Dialog der Weltreligionen zu. Sein „Projekt Weltethos“ sieht er als „ethisches Koordinatenkreuz“, er spricht von moralischen Standards und verweist auf die goldene Regel „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ im Anschluss an Kant. Diese Idee vermittelt die Stiftung Weltethos in Vorträgen und an Schulen.
Küng bewarb sie bei Staatsmännern und Religionsführern, einer davon war Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan. Das „Projekt Weltethos“ war es auch, über das Küng 2005 im Gespräch mit Benedikt XVI. nach dessen Wahl«vier Stunden sprach. Es war eine persönliche Unterhaltung – schlicht eine Sensation. Das laut Vatikan „brüderliche Gespräch“ war so etwas wie gegenseitige Anerkennung.
Welchen Stellenwert Küng auch außerhalb kirchlicher Milieus genießt, zeigte sich Mitte Oktober. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war nach Tübingen gekommen, um in einer Weltethosrede aus „Respekt für und Verehrung von Hans Küng“ dessen Wirken zu würdigen. Steinmeier zählte Küng mit dem Philosophen Jürgen Habermas „zu den beiden heute wohl weltweit bekanntesten lebenden deutschsprachigen Geisteswissenschaftlern, die nicht Papst geworden sind“. Küng selbst, wegen einer Parkinson-Erkrankung heute weitgehend zurückgezogen , konnte alles im Livestream verfolgen.
Durch einen Briefaustausch mit Franziskus sieht sich Küng inzwischen auch kirchlich „quasi informell“ rehabilitiert. Er sprach über einen „handgeschriebenen, brüderlichen Brief“ und betonte, eine öffentliche Rehabilitierung durch Rom sei ihm „nicht so wichtig“. Es gehe darum, dass es für die Menschen und für die Kirche vorangehe. Denn eigentlich, erzählte Küng einmal, wollte er nach der Priesterweihe 1954 Jugendseelsorger im Kanton Luzern werden. Es kam anders.