Krankenhaus-Ehe gescheitert: Contilia will KKE verkaufen

Hat die Contilia GmbH sich übernommen? Der Aufsichtsrat des Unternehmens hat für die Öffentlichkeit wie für Branchenkenner überraschend den Verkauf des Katholischen Klinikums Essen (KKE) beschlossen. Dies wurde am Montag bekannt. „Welche Auswirkungen dieser Beschluss des Aufsichtsrates auf das geplante Neubau-Projekt des Krankenhauses in Altenessen haben wird, kann das Bistum Essen derzeit nicht sagen“, hieß es in einer Erklärung des Bistum Abend. „Das Bistum Essen wird jetzt das Gespräch mit der Geschäftsführung der Contilia GmbH suchen, um zu klären, was dieser Beschluss für den weiteren Verlauf der Planungen bedeutet.“

+++Update Das NRW-Gesundheitsministerium reagierte am Donnerstag auf Anfrage.

In Altenessen wollte die Contilia ein neues Krankenhaus errichten (Grafik: Contilia).

Der Essener Krankenhausbetreiber war seine Ehe mit den Kliniken im Essener Norde erst im Mai 2018 eingegangen. Damit könnte auch eines der größten Bauprojekte der jüngeren Stadtgeschichte auf der Kippe zu stehen: den Neubau eines Krankenhauses in Altenessen. Da eine Entwicklungsinitiative ohne Unterstützung eines größeren Verbundes nicht möglich gewesen sei, habe sich die KKE GmbH mit ihren Standorten Philippusstift,  Marienhospital und St. Vincenz Krankenhaus der Contilia angeschlossen. Damit wuchs 2018 die Zahl der Mitarbeiter von 5462 auf 7563. Nachdem einer „Neubewertung“ des Projektes, einer „Gesundheitsversorgung der Menschen im Essener Norden“, habe der Contilia-Aufsichtsrat am Montag den Beschluss gefasst, die KKE zu verkaufen. Nach der Insolvenz und dem anschließenden Verkauf des Katholischen Klinikums Oberhausen (KKO) an den nicht unumstrittenen Schweizer Krankenhauskonzern Ameos droht nun möglicherweise eine weitere Ausdünnung der katholischen Krankenhauslandschaft im Ruhrgebiet.

Zur Übernahme der KKE heißt es im Jahresabschluss der Contilia für 2018, der vor wenigen Tagen im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, Ende 2016 sei den Unternehmen „die dringende Bitte der Spitzen der Kommunalpolitik wie auch des Bistums an beide Träger herangetragen worden, die gesundheitliche Versorgung des Essener Nordens gemeinsam nachhaltig zukunftsfähig auszugestalten“. Dieser Bitte und Aufgabe habe sich die  Contilia „nach Zustimmung des Aufsichtsrates gestellt und das daraus entstandene Projekt in Bezug auf ein gesellschaftsrechtliches Konzept 2017 in Umsetzungsreife gebracht, so dass entsprechende Beschlüsse zum Gesamtprojekt Anfang 2018 vorgelegt werden konnten“. Mit Blick auf die Bilanzzahlen heißt es weiter: „Insgesamt beurteilt die Geschäftsleitung die Geschäftsentwicklung im abgelaufenen Geschäftsjahr als nicht zufriedenstellend.“

Bei der Neubewertung seien, hieß es nun am Montag, unter anderem die jüngsten gesetzlichen Veränderungen im Gesundheitswesen (Pflegepersonaluntergrenzen, Pflegebudget, Reform des medizinischen Dienstes der Krankenkassen, Konzept der Landesregierung zur Krankenhausplanung) berücksichtigt worden, erklärte ein Unternehmenssprecher. „Die hier neu geschaffenen Rahmenbedingungen, verändern die Gesundheitsversorgung in Nordrhein-Westfalen noch rasanter als bisher vorhersehbar war. Durch diese und viele andere Regelungen steigen die Anforderungen an alle Krankenhäuser erheblich“, heißt es in einer Mitteilung der Contilia.

Die Neubewertung komme zu dem Ergebnis, dass die Contilia „trotz ihrer erfolgreichen Entwicklung in den vergangenen Jahren“ die KKE an „einen neuen Gesellschafter abgegeben“ müsse. „Dies geschieht aus Verantwortung, dass die KKE GmbH mit ihren Standorten der Garant für die Gesundheitsversorgung für die Menschen im Essener Norden ist.“ Unverändert sei die Überzeugung, „dass das entwickelte Konzept für die Gesundheitsversorgung der Menschen im Essener Norden richtig und nachhaltig ist“. Dies gelte auch für den geplanten Krankenhausneubau.

Wesentliche Bedingung für den Verkauf sei die Fortführung des Versorgungsvertrages der KKE GmbH mit den Krankenkassen und dem Land. Auch die Arbeitsverträge der KKE-Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber KKE GmbH sind von einem Gesellschafterwechsel unberührt, erklärte das Unternehmen.

Zwar wuchs der Anteil des Krankenhaus-Betreibers Contilia mit der Übernahme der KKE am Gesundheitsmarkt. Die Umsätze der Contilia-Gruppe steigen zuletzt von 368,6 auf 519,4 Millionen Euro. Allerdings erwirtschaftete das Unternehmen „mit einer nicht planmäßig erreichten Leistungsentwicklung bei überproportional gestiegenen Personalaufwendungen“ ein Minus von rund sechs Millionen Euro. Erst im November hatte Kirsten Kolligs ihren Dienst als neue Geschäftsführerin der „Katholisches Klinikum Essen GmbH“ und damit die Verantwortliche für die insgesamt vier Krankenhäuser der Contilia Gruppe im Essener Norden angetreten. Ihr Vorgänger Holger Raphael hatte die KKE schon nach einem halben Jahr wieder verlassen

Im Oktober 2019 war der 52jährige Diplomkaufmann Jens Egert als kaufmännischer Geschäftsführer in die Unternehmensleitung gekommen. Zuvor verantwortete viele Jahre den Bereich Finanzen und Controlling einer großen bundesweit aktiven Klinikgruppe, er war Vorstand eines führenden Medizin-Logistikers und zuletzt bekleidete er die Rolle des Finanzgeschäftsführers. In Essen nun bildete er eine Doppelspitze mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Dr. med. Dirk Albrecht, der bereits seit Gründung des Unternehmens 2006 Geschäftsführer der Gruppe ist.

Noch im Dezember 2019 hatte die Pfarrei St. Johann Baptist erklärt, die Contilia und die zu ihm gehörenden Kliniken Essen Nord hätten nochmals bekräftigt, das neue Krankenhaus auf dem Gelände des Marienhospitals und derm der heutigen Pfarrkirche St. Johann Baptist wie geplant bauen zu wollen. Im Mai hatte der Kirchenvorstand (KV) den Vertrag für den Verkauf der Pfarrkirche und des Pfarrbüros an Contilia unterzeichnet und damit den Weg für den Neubau eines hochmodernen katholischen Krankenhauses in Altenessen frei gemacht. Im Gegenzug für den Verkauf erhält unsere Pfarrei 1,1 Millionen Euro, die wir in die Modernisierung des Jugendheims und die Ausstattung einer neuen Gemeindekirche im Klinikneubau investieren.

Contilia-Projektleiter berichtet dem Kirchenvorstand über den Stand der Planungen

Auf Einladung des Kirchenvorstands hatte Projektleiter Markus Rau in der Dezember-Sitzung des KV Auskunft über den aktuellen Stand zum Projekt „Gesundheitsversorgung im Essener Norden“ gegeben. Demnach hat Contilia im Herbst von der Stadt Essen den sogenannten planungsrechtlichen Bauvorbescheid für den Neubau der Klinik mit der neuen Kirche erhalten und kann auf dieser Basis nun die Planungen vorantreiben. Dieser Bescheid basiert unter anderem auf einem Verkehrs-, einem Schall-  und einem Verschattungsgutachten, die die nachbarschaftlichen Belange des Neubauprojekts würdigen.

Im September war das Verkehrsgutachten vom städtischen Planungsamt in der Altenessener Bezirksvertretung der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Zu den nächsten Schritten gehört unter anderem die Ausschreibung des Architektenwettbewerbs. Erst wenn dieser abgeschlossen sei, würden sich alle in das Projekt involvierten Menschen und Institutionen anhand von Modellen und Zeichnungen auch ein genaueres Bild vom tatsächlichen Aussehen des neuen Gebäudes machen können, hieß es.

Bauvorbescheid für den Neubau eines zentralen Krankenhauses

In der Kirchenvorstandssitzung wies Projektleiter Rau auch noch einmal auf die Eindeutigkeit des städtischen Bauvorbescheides hin. Die Genehmigung sehe unmissverständlich den „Neubau eines zentralen Krankenhauses“ auf dem Grundstück „Essen-Altenessen, Hospitalstraße 24/Johanneskirchstraße 5“ vor.

Im Rahmen des Zukunftsprojektes „Innovationspaket 2020-2025“ werde an den anderen Contilia-Standorten hingegen ein Bündel an Bau- und Modernisierungsmaßnahmen umgesetzt. Sowohl am St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg als auch am Philippusstift in Borbeck seien Maßnahmen begonnen worden, die Versorgungsqualität weiter zu erhöhen. Darüber hinaus würden beide Standorte baulich darauf vorbereitet, die Fachabteilungen des Marienhospitals Altenessen aufnehmen zu können.

Kirche St. Johann Baptist kann mindestens bis Mitte Januar 2021 genutzt werden

Laut Kaufvertrag kann die Pfarrei ihre Kirche St. Johann Baptist können wir laut bis mindestens Mitte Januar 2021 nutzen. Mit Eröffnung der neuen Klinik – nach damaligen Planungstand im Jahr 2025 – sollte die Pfarrei dann auch die neue Kirche im Krankenhaus beziehen können. Bereits in den diesen Wochen sollte ein eigener Ausschuss seine Arbeit aufnehmen, um die künstlerische, liturgische und technische Ausstattung der neuen Kirche zu planen. In diesem Gestaltungsausschuss beraten KV- und Pfarrgemeinderatsmitglieder mit Vertretern der Contilia und externen Fachleuten. In Workshops, Expertengesprächen und anderen Veranstaltungsformaten sollte zudem die Gemeinde so weit wie möglich an den Planungen beteiligt werden. In der Pfarrei hatte es allerdings einen anhalten Widerstand gegen den Abriss der Kirche gegeben.

Gerichtsverfahren?

Der Riss geht durch die 14.000 Seelen zählende Pfarrei. „Das ab 2015 im Rahmen des Pfarreientwicklungsprozesses erarbeitete und 2018 vom Bischof gebilligte Votum sah den dauerhaften Erhalt unserer Kirche vor, in der jeden Sonntag gut 300 Gemeindemitglieder Gottesdienst feiern“, erklärte Anfang Dezember Gemeindemitglied Tobias Urban, Vorsitzender des 200 Mitglieder zählenden Vereins Rettet St. Johann. Er beschreibt seine Gemeinde als „sehr jung und sehr aktiv“ und räumt ein, „dass der Kirchenvorstand, der den Kaufvertrag mit der Contilia unterschrieben hat, „überhaupt nicht mit unserem Widerstand gerechnet hat und entsprechend entsetzt reagiert hat.“

Im Kolpinghaus, dort, wo im Frühjahr Generalvikar Klaus Pfeffer und Contilia-Geschäftsführer Dirk Albrecht die Klinik-Baupläne für das Kirchen- und Klinikgrundstück von St. Johann erläutert hatten, ließen sich am 5. Dezember rund 80 Gemeindemitglieder vom Monheimer Rechtsanwalt Moritz Peters die Erfolgsaussichten für eine Klage gegen den drohenden Kirchenabriss erklären. Auf einem Treuhandkonto liegen bereits 16.000 Euro, um einen möglichen Prozess gegen die eigene Pfarrgemeinde und die Contilia finanzieren zu können.

Peters beschrieb die Erfolgsaussichten einer Klage gegen den drohenden Kirchenabriss als „sehr realistisch.“ Seinen Optimismus stützt der Jurist, der sich selbst als „katholisch sozialisiert“ beschreibt, auf die am 28. November 1861 ausgestellte Schenkungsurkunde des Kirchenstifters Johann Lindemann. Denn in dieser Schenkungsurkunde verpflichtet Lindemann die Kirchengemeinde, die von ihm gestiftete und geschenkte Pfarrkirche „nur zum Gebrauche religiösen Gottesdienst für jetzt und die spätere Nachwelt zu gebrauchen.“ Außerdem verband er seine Schenkung mit der Auflage: „…nach meinem Tod in dieser Kirche meine ewige Ruhestätte zu finden und vor dem Chor begraben zu werden“.“

Inzwischen haben der Verein der Kirchenretter von St. Johann Baptist und Rechtsanwalt Peters einen Ur-Ur-Ur-Enkel des Kirchenstifters dafür gewinnen können, die rechtsverbindlichen Schenkungsauflagen aus dem Jahr 1861 auf dem Rechtsweg durchzusetzen und damit die Rückabwicklung des im Mai zwischen der Pfarrgemeinde St. Johann Baptist und der Contilia geschlossenen Kaufvertrages auf dem Rechtsweg zu erzwingen. Eine von Peters im Namen seines Mandanten gesetzte Frist, in der sich der Kirchenvorstand der Pfarrgemeinde und die Contilia außergerichtlich dazu bereiterklären können, die Auflagen der Lindemannschen Grundstücks- und Kirchenschenkung zu erfüllen und ihren Kaufvertrag zu lösen, läuft Ende Januar aus.

Lenken die Contilia und der Kirchenvorstand bis dahin nicht ein, müsste Peters im Auftrag seines Mandanten, der zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht öffentlich in Erscheinung treten will, Klage erheben. Doch das will er nur tun, wenn ihm der Verein Rettet St. Johann das Prozesskostenrisiko für ein voraussichtlich über zwei Instanzen geführtes Gerichtsverfahren am Landgericht und am Oberlandesgericht abnimmt.

Rechtsanwalt Peters geht realistischerweise davon aus, dass der von der Contilia gezahlte Kaufpreis für St. Johann (1,1 Millionen Euro) als Streitwert zugrunde gelegt würde. Auf dieser Basis prognostiziert er die Prozesskosten für die erste Instanz auf 62.000 Euro und für die zweite Instanz auf 73.000 Euro. Diese Beträge müssten bis Ende Januar auf dem bereits eingerichteten Treuhandkonto liegen, um die Rettung von St. Johann auf dem Rechtsweg angehen zu können.

„Das ist eine Herkulesaufgabe“, räumte Rechtsanwalt Peters ein. Und der Vereinsvorsitzende der Altenessener Kirchenretter, Tobias Urban, appellierte an die anwesenden Gemeindemitglieder im Kolpinghaus: „Nehmen Sie die ausliegenden Überweisungsträger mit. Aktivieren Sie Ihre persönlichen Netzwerke, rühren Sie die Werbetrommel und setzen Sie Ihrer Kreativität keine Grenzen!“

Nach Bekanntwerden des Contillia-Beschlusses erklärte Gerd Urban, der sich wie sein Sohn ebenfalls in der Initiative engagiert, dass sich nun die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hätten. Der Kaufvertrag sehe eine Option vor, wonach der Kirchenvorstand des Verkauf rückgängig machen können. „Ich erwarte, dass der Kirchenvorstand diese Option nun so schnell wie möglich zieht“, sagte Urban. „Das ist schon ein Hammer. Uns wurden ein Jahrelang, große Versprechungen gemacht.“ Zugleich bekräftigte er, dass die Initiative, bis Ende Januar Klage beim Landgericht einreichen werden.

„Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, welche die Pläne von Contilia unterstützt haben. Ich erwarte, dass nicht nur der Kirchenvorstand von St. Johann von Contilia umfassend unterrichtet wird, sondern auch die Mitglieder der Pfarrei St. Nikolaus. Schließlich ist das Vinzenz-Krankenhaus auch betroffen“, erklärte unterdessen der CDU-Kommunalpolitiker Klaus-Peter Scholz. „Darüber hinaus erwarte ich, dass die Bezirksvertretungen V und VI ebenso umfassend über die neue Entwicklung informiert werden, und zwar zeitnah.“
spe