100 Millionen Euro Schmerzensgeld für Missbrauchsopfer

Seit Jahren sucht die katholische Kirche einen Weg, Missbrauchsopfern einen Ausgleich zu zahlen. Nun haben sich die Bischöfe auf ein Schmerzensgeld verständigt.

Es geht um viel Geld, und es geht um Begriffe. Vor allem aber geht es um etwas schier Unmögliches: Die Kirche will das, was in den vergangenen 70 Jahren Hunderte ihrer Priester Kindern und Jugendlichen angetan haben, durch eine materielle Leistung wenigstens symbolisch wieder gut machen – und das auch dann, wenn aufgrund von Verjährung die Opfer keinen juristischen Anspruch mehr darauf haben. Die Zahlungen sollen nun analog zu den in Deutschland üblichen Schmerzensgeld-Sätzen geleistet werden. Sie dürften sich zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall bewegen. Insgesamt kommen damit auf die katholische Kirche in Deutschland Zahlungen von bis zu 100 Millionen Euro zu. Die Höhe soll fallweise von einer unabhängigen Kommission festgelegt werden.

Unmut wurde laut

Wie kam es zu dieser Summe, die von manchen als zu gering, von anderen als angemessen bezeichnet wird? Als die hohe Zahl von Missbrauchsfällen sich ab 2010 erstmals abzuzeichnen begann, wählten die Bischöfe auf Vorschlag ihres Missbrauchsbeauftragten, des Trierer Bischofs Stefan Ackermann, zunächst ein unbürokratisches Verfahren: Wer plausibel machen konnte, dass er oder sie von einem Kirchenmitarbeiter sexuell missbraucht worden war, erhielt „in Anerkennung des erlittenen Leids“ eine Summe von 5.000 Euro, in schweren Fällen auch mehr. Rund 2.000 mutmaßliche Opfer meldeten sich, und die Bistümer zahlten etwa 10 Millionen Euro aus.

Doch schon bald wurde Unmut laut, dass 5.000 Euro angesichts der seelischen Folgeschäden von Missbrauch nicht angemessen seien. Opferverbände wie der „Eckige Tisch“ forderten ein ganz anderes System. Es sollte echten Schadensersatz leisten – ausgehend von dem Gedanken, dass viele Opfer aufgrund der seelischen Schäden dauerhaft gehandicapt und zum Beispiel im Beruf weniger erfolgreich sind als Menschen ohne solch eine Vorgeschichte.

Unabhängige Expertengruppe

Dieses Modell brachte der Sprecher des „Eckigen Tischs“, Matthias Katsch, in die Arbeit einer unabhängigen Expertengruppe ein. Die Fachleute überbrachten der Bischofskonferenz im vergangenen September den Vorschlag, künftig Entschädigungssummen von bis zu 400.000 Euro pro Fall zu zahlen. Diese Summen – insgesamt war von bis zu einer Milliarde Euro die Rede – hätten bei weitem das übertroffen, was im deutschen Rechtssystem üblich ist, und sie hätten einige ärmere Bistümer und Ordensgemeinschaften vor erhebliche finanzielle Probleme gestellt. Schließungen von Schulen und Sozialeinrichtungen wären dort die Folge gewesen.

Nach zahlreichen Beratungen untereinander und mit externen Fachleuten verständigten sich die Bischöfe dann bei ihrer diesjährigen Frühjahrsvollversammlung in Mainz auf das neue Schmerzensgeld-Modell. Es hat, wie Ackermann betont, unter anderem den Vorteil, dass die Opfer das Geld nicht versteuern müssen und dass es nicht mit anderen Leistungen verrechnet wird. Außerdem ist die Höhe nicht statisch: Wenn sich die allgemeinen Schmerzensgeld-Tabellen nach oben verändern, erhalten auch künftige Antragsteller nach sexuellem Missbrauch mehr Geld. Zusätzlich zum Schmerzensgeld will die Kirche noch Therapiestunden zahlen.

Rücklagen aus Kirchensteuermitteln

Für ärmere Bistümer bedeutet die neue Einigung, dass sie wohl auf Rücklagen aus Kirchensteuermitteln zugreifen müssen. Reichere Bistümer können die Summen aus anderen Töpfen bestreiten, etwa aus dem Vermögen ihres „Bischöflichen Stuhls“. Bei vielen Ordensgemeinschaften übersteigt das neue Schmerzensgeld die finanziellen Möglichkeiten. Sie sind darauf angewiesen, dass reichere Bistümer ihnen mit einer Solidaritäts-Abgabe unter die Arme greifen.

Das neue Verfahren könnte nach Ansicht von Fachleuten bereits Ende dieses Jahres zu ersten Auszahlungen führen. Es bleibt in der Höhe und auch im Grundgedanken deutlich hinter dem zurück, was manche Opfervertreter gewünscht hatten. Andererseits erfüllt es erstmals Kriterien wie Transparenz und Einheitlichkeit und orientiert sich an den Vorgaben des deutschen Zivilrechts. Es ist nicht mit den gerichtlich erstrittenen Schadensersatzforderungen im angelsächsischen Raum vergleichbar, wohl aber mit dem, was in Nachbarländern wie Österreich oder Belgien bereits praktiziert wird.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)

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