Düsseldorf – Der Psychiater und katholische Theologe Manfred Lütz (66) glaubt, dass die Gesellschaft einen Ausnahmezustand wie die Corona-Krise meistern kann: „Uns bleibt ja gar nichts anderes übrig, aber wir sind dazu auch in der Lage“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Montag): „Der Mensch kann Enormes verkraften, allerdings heißt das natürlich nicht, dass es leicht wird.“
Menschen könnten selbst schwerste Traumata erstaunlich gut überstehen, ergänzte der Mediziner und Therapeut: „Natürlich werden verletzlichere Menschen da auch gewisse Störungen erleiden. Aber sogar der schreckliche Zweite Weltkrieg hat keine Gesellschaft von gestörten Menschen hinterlassen.“
Eine Hilfe in diesen Zeiten könne der Glaube sein, so Lütz weiter: „Wenn man denkt, mit dem Tod ist alles aus, es gibt keinen Gott und dem Weltall ist es egal, wenn hier Tausende Menschen an einem Virus verrecken, dann ist die Lage im Moment tatsächlich trostlos.“ Aber wenn man an Gott glaube und daran, dass es über den Tod hinaus ein ewiges Leben gibt und einen Sinn trotz all des Leidens in der Welt, erlebe man die Krise anders: „Natürlich kommt man jetzt mit einem niedlichen Schönwetter-Gott nicht weiter. Aber als Christ glaube ich an einen gekreuzigten, an einen mitleidenden Gott, der gerade in der Krise bei uns ist.“
Wichtig, so Lütz, sei auch, sich darauf zu besinnen, dass Nächstenliebe das zentrale Element des Christentums sei – „und das muss man gerade jetzt merken“. Daher unterstütze er auch die Initiative des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki. Dieser hatte Firmlinge, Ministranten und andere junge Leute aufgefordert, zum Beispiel bei der Tafel einzuspringen. Außerdem habe Woelki daran erinnert, dass man zwar die Gottesdienste eine gewisse Zeit einstellen könne, niemals aber die Nächstenliebe.
Auf die Frage, ob der Mensch immer nur in der Krise religiös werde, antwortete der Theologe und Psychiater: „Das glaube ich nicht. Im Krieg sind auch Menschen vom Glauben abgefallen.“ Aber Krisen könnten wachrütteln und zwingen, über den Sinn des Lebens nachzudenken und die Zeit nicht einfach nur dahinplätschern zu lassen: „Sonst steht am Ende auf dem Grabstein: Er lebte still und unscheinbar, er starb, weil es so üblich war.“