Osnabrück – Im Zuge der Corona-Krise könnten sich nach Einschätzung der Historikerin Eva Schlotheuber mehr Menschen mit Glaubensfragen befassen. Viele dächten gerade über den Tod und den Sinn des Lebens nach, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstag). Die Kirchen würden davon allerdings eher nicht profitieren, da die Krise an ihren Problemen nicht ändere, so die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes. „Vielleicht werden wir ganz neuartige religiöse Strömungen sehen.“
Pandemien seien immer wieder Ausgangspunkte von etwas „grundsätzlich Neuem“ gewesen, fügte Schlotheuber hinzu. Sie offenbarten „schonungslos die Schwächen des Status quo“. Daher werde auch Corona die gesellschaftlichen Paradigmen spürbar verschieben.
Zudem seien Seuchen in der Vergangenheit oftmals instrumentalisiert worden, „um anderen politischen oder sozialen Zielen zu dienen“, sagte die Historikerin. Es gelte daher, besonnen zu bleiben und sich vor Überreaktionen zu hüten.
„Es hat sich für sie eine innere Welt geöffnet, als die äußere abgeschlossen blieb“
In einer Situation gesellschaftlicher Zurückgezogenheit liege zugleich eine Chance, so die Mittelalter-Professorin. „Im Mittelalter hat die selbst auferlegte ,Ausgangssperre“, die Klausur der Mönche und Nonnen, zu großen intellektuellen und kulturellen Innovationen geführt“, sagte Schlotheuber. „Es hat sich für sie eine innere Welt geöffnet, als die äußere abgeschlossen blieb.“
Kreative Gedanken aus einer „Klausur“ könnten der Einzelne sowie die Gesellschaft auch heute gut gebrauchen. „Vielleicht ist derzeit ein guter Moment zu überlegen, worum es wirklich geht, was uns im tieferen Sinne wichtig ist“, sagte die Wissenschaftlerin. „Dass die Pandemie in den Industrienationen die Illusion zerstört, dass Mensch und Natur grenzenlos beherrschbar sind, kann auch einen Weg frei machen.“
Schlotheuber lehrt Geschichte an der Universität Düsseldorf, promovierte über die Franziskaner und befasst sich seit vielen Jahren speziell mit geistlichen Frauengemeinschaften des Spätmittelalters.