Die Turteltaube ist „Vogel des Jahres“

Warum dem bunt gefiederten Liebessymbol das Aus droht

Die farbenfrohste aller fünf heimischen Taubenarten ist auch die seltenste: die Turteltaube. Schon seit biblischen Zeiten gilt das Tier als Sinnbild der Zuneigung – wegen seines ganz besonderen Paarungsverhaltens. Nun ist sie Vogel des Jahres.

Das muss ein Tier erst mal schaffen. Die Turteltaube hat der deutschen Sprache ein eigenes Verb beschert: turteln. Der Ausdruck für zärtlich-verliebtes Verhalten stammt laut Wahrig-Wörterbuch vom Gurren des Vogels. Von Strophen „aus mehrfach wiederholten schnurrenden ‚Turrturr‘-Elementen“ ist im „BLV-Handbuch Vögel“ die Rede. Passend also, dass der Bayerische Landesbund für Vogelschutz (LBV) die Kür der Turteltaube zum „Vogel des Jahres“ 2020 mit einem Bild illustriert hat, auf dem zwei Vögel sich liebevoll beschnäbeln. Leider nur ist die Wahl eine schlechte Nachricht.

Die Turteltaube ist Vogel des Jahres 2020 (Foto: NABU)

„Seit 1980 haben wir fast 90 Prozent dieser Art verloren, ganze Landstriche sind mittlerweile turteltaubenfrei“, erklären LBV und Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ihre Jahresvogel-Entscheidung. Aktuell brüteten hierzulande noch 12.500 bis 22.000 Paare. Auch andernorts gehe der Bestand zurück. Die Turteltaube sei der erste Jahresvogel, der als global gefährdete Art auf der weltweiten Roten Liste der bedrohten Spezies stehe.

Mit dem etwa amselgroßen Tier droht ein Kleinod der heimischen Vogelwelt zu verschwinden. Die Turteltaube ist für mitteleuropäische Verhältnisse nämlich ungewöhnlich bunt. Man erkennt sie „an ihrem unverwechselbar gemusterten Gefieder, das nahezu exotisch anmutet“, so der LBV, der ferner auf die „leuchtend orangeroten Augen mit dem rötlichen Lidring“ verweist.

Ausnehmend hübsch sieht die Turteltaube also aus und ist auch ein Symbol für Schönes. Sie „steht für Glück, Liebe und Frieden“, hält der Nabu fest und führt ihre monogame Saison-Ehe an sowie ihren im Vergleich zu anderen Tauben besonders zarten Gesang. „Ihre Lebensbedingungen sind allerdings weniger romantisch“, heißt es weiter. Die Turteltaube finde kaum mehr Futter und Brutplätze.

Das „BLV-Handbuch Vögel“ nennt die „Zerstörung von Hecken und Auegebieten“ und den „Schwund der Ackerwildkräuter durch intensive Bewirtschaftung“ als entscheidende Probleme. „Zu alldem kommen noch extrem hohe Abschusszahlen auf dem Zug.“ In den westafrikanischen Überwinterungsgebieten wirkten sich zusätzlich etwa Dürreperioden negativ aus.

Der Blick in die Zukunft scheint für die Turteltaube also alles andere als rosig – der in die Geschichte schon eher. So verrät WiBiLex, das Wissenschaftliche Bibellexikon der Deutschen Bibelgesellschaft, dass die Taube im Alten Orient bereits seit dem 3. Jahrtausend vor Christus als Begleittier der Liebesgöttin Ischtar oder Astarte gesehen und später auch von Aphrodite und Venus übernommen worden sei. „Im Hintergrund dürfte das auffällige Paarungsverhalten der Tiere stehen“ – sie vollführen zur Balz nämlich Flugshows füreinander. „Das Schnäbeln der Tauben wurde zudem als Küssen gedeutet.“

Auch in der Bibel taucht die Taube auf – in der Einheitsübersetzung insgesamt 21-mal, explizit als Turteltaube sechsmal. Nicht nur tritt sie als Landbotin für Noah von der Arche in Erscheinung. „Aufgrund der Beziehung zur Liebesgöttin erklärt sich das Vorkommen der Taube in der Bildsprache des Alten Testaments, vor allem im Hohenlied“, so WiBiLex.

Die häufige Nennung der Taube als Liebesbotin stehe auch im Hintergrund des Taufberichts im Markus-Evangelium, wo der „wie eine Taube“ herabschwebende Geist die Liebe des Vaters zum Sohne offenbare. Und bei Matthäus mahne Jesus, ohne Falsch wie die Taube zu sein. WiBiLex begründet: „Für Griechen und Juden war die Taube Vorbild der Lauterkeit, Wehrlosigkeit und Reinheit.“

Wehrlos scheint die Turteltaube in der Tat angesichts ihrer Bestandseinbrüche. Und selbst das Verb turteln wurde laut Digitalem Wörterbuch der deutschen Sprache früher öfter benutzt als heute.

Umso mehr sollte sich glücklich schätzen, wer dieser Tage eine Turteltaube in der Natur entdecken darf. Jetzt im April und im Mai kehren die Vögel nämlich aus ihrem Winterquartier zurück und suchen sich dann einen Partner. „Die beiden Turteltauben“, heißt es vom Nabu, „bleiben sich über die gesamte Brutsaison treu, welche in Deutschland bis Ende August dauert.“ Möge uns die Art an sich noch wesentlich länger erhalten bleiben.

Von Christopher Beschnitt (KNA)