Corona: Museen und Historiker sammeln Dokumente

Bundesweit sind mehrere Initiativen entstanden

Wie werden Historiker der Zukunft auf die Corona-Pandemie zurückschauen? Kurzer Ausnahmezustand oder Epochenwende? Das Württembergische Landesmuseum und ein digitales Corona-Archiv sammeln Erlebnisse und Erfahrungen.

Toilettenpapierrolle

(Symbolfoto: Alexas_Fotos/Pixabay)

Das Foto eines prallgefüllten Vorratsschrankes, leere Autobahnen, eine Infotafel „Corona – Ostern bitte nicht reisen!“, ein Konditor, der Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zurückholt, weil seine Klopapier-Torte ein Renner geworden ist, Stammtisch per Videokonferenz, ein Corona-Monster aus Lego, das den dreijährigen Erbauer beschützen soll. Die Corona-Krise hat den Alltag der Menschen radikal verändert. Wie stark, das interessiert schon jetzt die Historiker, Archivare und Museen.

Wenn in 15 Jahren eine Ausstellung zur Corona-Pandemie stattfände, welche Gegenstände würden dort zu sehen sein? Diese Frage stellt sich das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart und ruft dazu auf, Vorschläge als Foto oder Video zu schicken. Das Ausstellungsprojekt „Corona-Alltag. Dein Objekt für übermorgen“ hat bereits rund 500 Online-Exponate gesammelt und stellt sie auf seiner Internetseite aus. Die Gegenstände werden nicht nur gesammelt, sondern auch kommentiert: von den Einsendern selbst sowie von Kunstexperten. „Für jeden Tag ist ein Kurator nominiert, der sich ein Stück heraussucht und es in einen kulturhistorischen Zusammenhang stellt“, erklärt Matthias Ohm, Leiter der Fachabteilung Kunst- und Kulturgeschichte des Museums.

500 Online-Exponate gesammelt

So schreibt etwa Sabine Rudolf über ihre Vorräte: „Als Mutter von zwei Kindern habe ich immer einige Vorräte zu Hause. In der Corona-Krise ist unser Vorratsschrank aber noch einmal etwas angewachsen, auch damit wir nicht zu oft zum Supermarkt fahren müssen. So sind wir auf alles vorbereitet!“ Ria Litzenberg erinnert in einem kurzen Erklärvideo daran, dass die Menschen erst sesshaft werden mussten – in Mitteleuropa vor rund 7.500 Jahren – um überhaupt in der Lage zu sein, Dinge anhäufen zu können. „Durch die veränderte Art zu leben wurde die Welt planbarer, berechenbarer.“ Und auch heute noch scheine der volle Vorratsschrank in ungewisser Zeit eine gewisse Sicherheit zu geben.

Auch das Projekt „coronarchiv.de“ sammelt, und zwar alles: Fotos, Videos, E-Mails, Songs, Geschichten, selbstgemalte Bilder. Jeder ist eingeladen, Beobachtungen aus der Corona-Zeit der digitalen Sammlung zur Verfügung zu stellen. „Die Alltagsgeschichte ist in der Wissenschaft oft ein blinder Fleck“, sagt Christian Bunnenberg, der an der Universität Bochum die Juniorprofessur für Didaktik der Geschichte innehat. Gemeinsam mit befreundeten Historikern der Unis Gießen und Hamburg hat er deshalb ein Corona-Archiv aus der Taufe gehoben. „Wir leben in einer offenen Situation, wir wissen heute nicht, wie das Ganze ausgeht, was die richtigen Entscheidungen sind, was die falschen.“

Alltagsgeschichte oft ein blinder Fleck

Für Historiker in zehn, 20 oder 50 Jahren werde sich wiederum das Problem stellen, dass sie das Ende der Geschichte schon kennen, trotzdem aber versuchen müssten, die Abläufe möglichst genau nachzuvollziehen. „Mit unserem Corona-Archiv können wir Aspekte sichtbar machen, die ansonsten in den klassischen Quellen wie Behördenakten und Medien nicht sichtbar werden“, ist Bunnenberg überzeugt. Welcher Quellen sich die Geschichtsschreiber der Zukunft bedienen werden – und ob sie die Pandemie 2020 tatsächlich einmal als epochales Ereignis einstufen werden? „Die Geschichte einer Gegenwart wird immer in der Zukunft geschrieben“, sagt Bunnenberg. Immerhin, mit dem Corona-Archiv steht reichlich Alltagsmaterial zur Verfügung: Rund 1.000 Einsendungen sind es bislang.

Die Stadtarchive von Darmstadt und Hanau sowie das Archiv des Landkreises Heilbronn haben sich dem Projekt inzwischen angeschlossen. Auch sie wollen, wie die Heilbronner Archivarin Petra Schön erklärt, Alltagserfahrungen dokumentieren, damit „spätere Generationen möglichst originalgetreu auf die Zeit während der Corona-Krise zurückschauen können“. Schön weiß, wie wichtig es ist, viele Quellen zu haben. Sie selbst müsse beispielsweise bei der Dokumentation des Kriegsendes 1945, das in Heilbronn eine wichtige Rolle spielt, immer wieder auf die gleichen Zeitzeugenberichte oder Fotos zurückgreifen. Das will sie ihren Kollegen der Zukunft gerne ersparen.

Von Stefanie Ball (KNA)