Berlin– Mehrere tausend Menschen haben am Wochenende in deutschen Städten gegen die Coronavirus-Beschränkungen demonstriert. Vertreter von Politik, Sicherheitsbehörden und Religionsgemeinschaften warnten vor der Verbreitung von Verschwörungsmythen.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte der „Welt am Sonntag“, man beobachte einen Trend, dass Extremisten die Demonstrationen instrumentalisierten. Aktuell würden die Proteste mehrheitlich von verfassungstreuen Bürgern durchgeführt. Es bestehe aber die Gefahr, dass insbesondere Rechtsextremisten sich mit ihren Feindbildern und staatszersetzenden Zielen an deren Spitze stellten.
Zimiak: Verschwörungstheorien und Falschmeldungen sind „Brandbeschleuniger“
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, viele Menschen seien derzeit in Sorge um ihre Existenz. Es gelte daher, schnell zu handeln, damit die Menschen „ihren Lebensunterhalt sichern können. Damit verhindern wir auch, dass Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker den Ton setzen.“ Auch der Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, warnte vor dem Einfluss Radikaler. Verschwörungstheorien und Falschmeldungen seien „Brandbeschleuniger“. Die demokratische Mitte müsse „dagegenhalten und diese enttarnen“.
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, sagte der Zeitung, es besorge sie zutiefst, „wenn Teile diesen legitimen demokratischen Protest kapern, um ihre rechte, antisemitische und verschwörungsideologische Agenda voranzutreiben“. Jeder Demonstrant müsse hinterfragen, „was für Parolen der Nebenmann schwingt“.
Timmervers beschämen Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien aus dem Innersten der Kirche
Auch der Dresdner katholische Bischof Heinrich Timmerevers wies Verschwörungstheorien zurück. Er wandte er sich in der „Sächsischen Zeitung“ zugleich dagegen, „Andersdenkende als Verschwörungstheoretiker mundtot zu machen“. Ein Streit sei aber nur dann förderlich, „wenn er auf dem Boden der Wahrheit bleibt“.
Timmerevers betonte, dass Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien auch aus dem Innersten der Kirche kämen, beschäme ihn. Wenn dann von einer Weltverschwörung fabuliert werde, sei das „eine schallende Ohrfeige für alle, die sich in den vergangenen Wochen aufrichtig für die richtigen Entscheidungen eingesetzt haben“.
Knobloch: Hass wird in großem Stil auf die Straße getragen
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, erklärte, unter dem Deckmantel des politischen Protests würden „inmitten deutscher Großstädte Verschwörungstheorien und teils offener Judenhass verbreitet“. Der Hass, der seit Jahren im Internet gäre, werde in großem Stil auf die Straße getragen.
Anhänger von Verschwörungstheorien aus ihrem Milieu zu holen, ist nach Ansicht von Fundamentalismus-Experte Christoph Urban extrem schwer. „Es gehört ja gerade zur Identität dieser Gruppierungen, dass sie sich für besonders halten, aber gleichzeitig von der Mehrheit abgelehnt werden“, sagte der evangelische Theologe der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. Wohl sei es aber wichtig, mit denen ins Gespräch zu kommen, die derlei Theorien nicht anhingen, aber beispielsweise auf die Straßen gingen, weil sie Unbehagen über den Umgang mit der Corona-Pandemie empfinden. „Viele Menschen fühlen sich überrollt. Sie suchen nach Erklärungen.“
Butter: Verschwörungstheorien gehen von drei Grundannahmen au
Der Tübinger Kulturwissenschaftler Michael Butter sagte dem Nachrichtenportal t-online.de., Verschwörungstheorien gingen von drei Grundannahmen aus. „A: Alles wurde geplant. B: Nichts ist wie es scheint. Und C: Alles ist miteinander verbunden“. Typisch sei die Annahme, dass „Corona im Grunde nur das letzte Kapitel, der letzte Baustein in einem schon viel länger andauernden Komplott ist.“
Butter fügte hinzu: „Man kann sich nicht vorstellen, dass irgendetwas zufällig geschieht. Alles ist seit Jahrzehnten, ja fast seit Jahrhunderten geplant worden von irgendwelchen dunklen Eliten und wir sehen gerade nur quasi die letzte Szene in diesem Drama.“