Psychiater zu Corona: Soziale Isolation kostet Lebensjahre

Der Psychiater, Hochschullehrer und Stressforscher Mazda Adli rechnet mit einer Zunahme psychischer Belastungen der Bevölkerung infolge der Corona-Krise. „Ich gehe davon aus, dass sich das spätestens nach der Pandemie auch in Zahlen zeigen wird“, sagte Adli der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag). Viele Menschen mit ernsten psychischen Erkrankungen und Hilfebedarf seien während des Lockdowns zu Hause geblieben und hätten nicht den Weg zum Arzt oder in eine Klinik gefunden. „Die Konsequenzen daraus werden zeitversetzt zutage treten.“

Corona

(Symbolfoto: congerdesign/Pixabay)

Insbesondere die soziale Isolation berge Problempotenzial, fügte der Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin, der auch den Forschungsbereich Affektive Störungen der Charite Universitätsmedizin Berlin leitet, hinzu. Diejenigen, die alleine lebten, seien beim Rückzug in die Häuslichkeit von Isolation und Einsamkeit bedroht. Nicht jeder habe die Möglichkeit oder die Fähigkeiten, sich virtuell mit Leuten zu verbinden, betonte er. „Wenn man bedenkt, dass soziale Isolation einer der stärksten Belastungsfaktoren für unsere Gesundheit ist, ist das besorgniserregend.“

Nicht nur für die psychische, sondern auch für die körperliche Gesundheit sei soziale Isolation „ein relevanter negativer Einflussfaktor“, warnte Adli. „Soziale Isolation kostet uns Lebensjahre.“ Dennoch hätten „die meisten Menschen, wenn sie über körperliche Gesundheit nachdenken, eher die klassischen Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Rauchen oder Bluthochdruck im Blick“, sagte er. „Aber: Einsamkeit steht diesen weit verbreiteten Risikofaktoren in nichts nach.“

Er hoffe, dass in der Folge der Pandemie das Thema Einsamkeit stärker in den gesellschaftlichen Fokus geraten werde. „Einsamkeit gehört zu den tabuisierten Themen. Den Menschen fällt es selbst gegenüber einem Psychiater schwer zuzugeben, dass sie einsam sind.“ In Deutschland leben etwa 17 Millionen Menschen in Single-Haushalten, vor allem in Städten und Großstädten.