Wo sonst Staatsoberhäupter, Botschafter und Bischöfe vorfahren, empfängt Franziskus an diesem Mittwoch das „einfache Volk“. Es ist seine erste Generalaudienz mit Gläubigen nach 200 Tagen pandemiebedingter Pause.
Sonst parken hier mit Standarten behängte Limousinen ausländischer Regierungschefs und Diplomaten, legen Schweizergardisten jährlich am 6. Mai einen Eid ab, selbst mit ihrem Leben den Papst zu schützen. Doch im Pandemie-Jahr 2020 ist vieles anders. Staatsgäste bleiben aus. Stattdessen findet erstmals nach fast 200 Tagen pandemiebedingter Pause im Innenhof des Apostolischen Palastes, dem Damasus-Hof, wieder eine Generalaudienz mit leibhaftiger Präsenz von Gläubigen statt. „Am 2. September ab 7.30 Uhr Zutritt zur Audienz. Keine Eintrittskarten nötig“, ist auf Großbildschirmen auf dem Petersplatz zu lesen.
Erste Interessenten schon vor 7 Uhr erwartet
Erste Interessenten werden sich schon lange vor 7.00 Uhr am Bronzetor des Apostolischen Palastes rechts unter den Kolonnaden anstellen. Neben der Sicherheitskontrolle werden die wachhabenden Schweizergardisten und Gendarmen streng auf die Einhaltung der Hygienemaßnahmen achten: Sicherheitsabstand und „mascherina“, wie der Mund-Nasen-Schutz in Italien heißt. Vermutlich werden auch Thermoscanner zum Einsatz kommen, um Besucher mit mehr als 37,5 Grad Körpertemperatur auszusondern.
Wer hineingelassen wird, erlebt ein Novum in der katholischen Kirchengeschichte: Erstmals hält der Papst eine Generalaudienz im Damasus-Hof. Da dieser höher liegt als der Petersplatz, müssen Audienzteilnehmer durch das unter Pius IX. (1846-1878) breit angelegte Treppenhaus hindurch, vorbei am Büro der Päpstlichen Präfektur. Im Hof selbst werden Stehplätze markiert, um den Sicherheitsabstand zu gewährleisten.
Letzte „richtige“ Generalaudienz am 26. Februar
Die letzte „richtige“ Generalaudienz von Franziskus fand am 26. Februar statt. Seit Italien Anfang März ein allgemeines Versammlungsverbot erließ, gab es statt Pilger- und Touristenmassen Videoansprachen aus der päpstlichen Bibliothek. Da aber der Papst nach katholischer Lehre sichtbares Prinzip der Einheit in der Kirche ist, gehört seine öffentliche Präsenz wesentlich zu seiner Amtsausübung. Daher war die pandemiebedingte Isolation nicht nur ein persönliches Problem des volksnahen Franziskus, sondern auch ein institutionelles. Das soll nun behoben werden. Thematisch wird Franziskus in seiner insgesamt 323. Generalaudienz die Katechesereihe über eine Post-Covid-Welt und die katholische Soziallehre fortsetzen.
Papstaudienzen für eine größere Zahl von Teilnehmern sind ein modernes, rund 100 Jahre altes Phänomen. Zuerst fanden sie mit ausgewählten Gästen in Sälen des Apostolischen Palastes statt. Als der Zulauf wuchs, wanderten sie in die Benediktionsaula über dem Eingang des Petersdoms, dann in die Basilika selbst. Päpstliche Generalaudienzen, wie man sie heute kennt, kamen erst mit Pius XII. (1939-1958) auf, der als erster Papst Massenmedien nutzte.
Paul VI. ließ Audienzhalle bauen
Als nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) der Vatikan stärker ins internationale Blickfeld rückte und moderne Verkehrsmittel mehr Touristen und Pilger nach Rom brachten, ließ Paul VI. von 1964 bis 1971 die nach ihm benannte Audienzhalle bauen. Sie kann bis zu 12.000 und mehr Personen fassen – in Pandemie-Zeiten undenkbar. Vor allem mit Johannes Paul II. (1978-2005) wuchs die Zahl der Generalaudienz-Teilnehmer noch einmal stark an. Zu Wojtylas besten Zeiten wie zu denen seiner Nachfolger Benedikt XVI. (2005-2013) und Franziskus war mitunter der komplette Petersplatz gefüllt.
In dem 40 mal 60 Meter großen Damasus-Hof wird die Veranstaltung deutlich kleiner, aber auch familiärer ausfallen. Eingefasst ist der nach Papst Damasus (366-384) benannte Hof von den vier Stockwerke hohen Fassaden des Apostolischen Palastes, entworfen von Künstlern wie Bramante (1444-1514) und Raffael (1483-1520). Theoretisch können sich im Hof maximal 2.400 Personen mit dem in Italien vorgeschriebenen Mindestabstand von einem Meter verteilen. De facto werden es wohl weniger.
Keine Einlasskarten
Eine konkrete Zahl teilte die Präfektur des Päpstlichen Hauses bislang nicht mit – nach dem Motto: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Auf Einlasskarten – sonst notwendig, wenn auch kostenlos – verzichtet der Vatikan dieses Mal. Das ist zwar großzügig, macht aber die Nachverfolgung möglicher Infektionen schwierig. Und wer später kommt, muss wie zuletzt mit dem Papst auf Großbildschirmen vorliebnehmen.
Von Roland Juchem (KNA)