Bonn – Die neue Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus sorgt für viele Reaktionen in Kirche, Politik und Gesellschaft. Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) sprach von einem „wichtigen Aufruf, über eine auseinanderdriftende und von Egoismen geprägte Welt nachzudenken“. Themen wie Solidarität, Dialogbereitschaft und die Suche nach konsensfähigen Lösungen beschäftigten auch den Verband seit Jahren, sagte KDFB-Präsidentin Maria Flachsbarth.
Der Frauenbund vermisse jedoch eine Kritik an kirchlichen Strukturen in dem Lehrschreiben „Fratelli tutti“, das der Papst am Sonntag veröffentlicht hatte. Dies betreffe etwa Themen wie den sexuellen und geistlichen Missbrauch an Frauen in der Kirche, die Öffnung von Weiheämtern für Frauen oder den mangelnden Dialog einiger vatikanischer Kreise mit den Ortskirchen. „Eine Kirche ist nur glaubwürdig, wenn sie das, was sie von anderen fordert, im Inneren auch lebt“, mahnte Flachsbarth. Zudem zitiere Franziskus in 288 Fußnoten „keine einzige Frau“, kritisiert der Frauenbund. Dies sei eine subtile Form, „die Leistungen von Frauen nicht anzuerkennen und die Verletzlichkeit von Männern zu unterschlagen“.
Mahnung zu Solidarität und Gerechtigkeit
Münsters Bischof Felix Genn versteht die neue Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus als eindrückliche Mahnung zu Solidarität und Gerechtigkeit. Er mache deutlich, dass jeder Mensch dieselbe Würde habe und auch Migranten unsere Nächsten seien, erklärte Genn am Sonntag in Münster. „Nationalismus, grenzenloser Konsum, unbegrenzter Wirtschaftsliberalismus, eine Wegwerfgesellschaft, Krieg, Atomwaffen, die Todesstrafe, eine Politik der Abschottung von Migranten sowie Populismus gehören abgeschafft.“
„Ein sprechendes Zeichen“ ist laut Genn die Tatsache, dass Papst Franziskus die Enzyklika am Samstag in Assisi, wo der heilige Franz lebte, unterschrieben hat. Die zentralen Botschaften des Papstschreibens entsprächen dem, was der heilige Franz schon vor 800 Jahren verkündet und gelebt habe: „Die Weltgemeinschaft braucht eine radikale Veränderung hin zur Geschwisterlichkeit.“
„Das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt“
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lobte die Enzyklika kurz nach seiner Generalaudienz bei Papst Franziskus. Das Schreiben sei „das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt“, sagte er der „Rheinischen Post“. Franziskus bringe Umwelt, Klima, Wirtschaft, Entwicklung und Migration ebenso wie Frieden und Menschenrechte in einen Zusammenhang – und das in einer Zeit, in der die Gesellschaft immer egoistischer und aggressiver werde. Das zeige den ganzheitlichen Ansatz dieses Papstes.
„Dass er sich dabei explizit auf die Inspiration aus dem Austausch mit anderen Religionen und Kulturen bezieht, unterstreicht die große Dialogbereitschaft von Franziskus“, so der CDU-Politiker weiter. Laschet nannte die Enzyklika „eine eindringliche Mahnung gegen Nationalismus und ein wegweisendes Plädoyer für mehr Multilateralismus“. Franziskus fordere mehr Kompromissbereitschaft für globale Lösungen und mehr Einsatz in internationalen Organisationen – und treffe damit den Kern vieler Konflikte dieser Tage.
ifo-Präsident zeigt sich enttäuscht
Enttäuscht zeigte sich dagegen der Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest. „Das Wettern gegen Märkte und angeblichen Neoliberalismus ist die größte Schwäche des Papiers“, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). So gut wie niemand glaube heute noch, dass der Markt alle Probleme lösen könne, so Fuest. Franziskus wettere gegen ein System, das es so gar nicht gebe.
Auch die Aussage von Franziskus, die Globalisierung habe den Schwachen nicht genützt und sie nur in Abhängigkeiten geführt, sei „eine schlichte Unwahrheit. Hier werden Vorurteile vorgetragen, die tatsächliche Entwicklung der Welt wird ignoriert. Solche Fehler sind bedauerlich, weil sie dem gesamten Text Einiges an Glaubwürdigkeit nehmen.“