Die Kirchen als Superspreader oder in einer Reihe mit Billig-Ketten: Dass Gottesdienste im „Lockdown light“ erlaubt bleiben, stößt auch auf Kritik. Kirchenvertreter mahnen unterdessen zum Einhalten der geltenden Regeln.
Bonn – Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut – ein Grundrecht und ein Menschenrecht. Bundesregierung und Ministerpräsidenten haben das betont, als im Frühjahr auch Kirchen geschlossen wurden. Zu den zuletzt beschlossenen Maßnahmen erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), es sei nicht als angemessen erschienen, in diesem Bereich die Regeln zu verschärfen.
Das heißt: Im „Lockdown light“, der den November in Deutschland prägen wird, gelten für Kirchen, auch für jüdische und muslimische Gemeinden, keine erweiterten Einschränkungen. Bestehende Hygienekonzepte – mit Abstandsmarkern und Desinfektionsmittelspendern, mit Maskenpflicht und zahlenmäßigen Beschränkungen – bleiben in Kraft. Auch empfehlen viele Bistümer und Landeskirchen, auf das Singen im Gottesdienst zu verzichten. Denn dabei werden laut Studien besonders viele Aerosole ausgestoßen.
Lokal verschärfte Maßnahmen betreffen auch die Religion
Lokal verschärfte Maßnahmen betreffen die Religion durchaus mit. Etwa im Berchtesgadener Land, der ersten deutschen Region, in der die Menschen ihre Wohnung bis Montag nur aus triftigen Gründen verlassen durften. Pfarrheime sind geschlossen, geplante Veranstaltungen abgesagt. Sterbebegleitung und Beerdigungen blieben möglich, allerdings nur im kleinen Kreis.
Zu den stillen Feiertagen im November, an denen viele Menschen etwa Friedhöfe besuchen, gab es bundesweit Appelle an die Vernunft. Es gelte, mit nicht mehr als zehn Menschen aus zwei Haushalten den Friedhof zu besuchen, Abstand zu halten und nach Möglichkeit auch Masken zu tragen. Auch wenn man sich auf dem Friedhof im Freien aufhalte, hieß es. Friedhöfe gehörten zu den „letzten gesamtgesellschaftlichen Kulturräumen, die nicht von den Corona-Schließungen betroffen sind“, so Tobias Pehle. Die Pandemie habe noch einmal „eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig die Friedhofskultur für unsere Gesellschaft ist“, fügte er hinzu. „Ohne diese Orte der Trauer und der Erinnerung fehlt den Menschen eine wichtige Stütze, vor allem, wenn Opfer der Pandemie zu beklagen sind“, sagte der Geschäftsführer des Kuratoriums Immaterielles Erbe Friedhofskultur.
Kirchen als Superspreader?
Orte der Einkehr, des Gedenkens an Verstorbene und der Feier des eigenen Glaubens – all das sind Gotteshäuser für gläubige Menschen. Kirchenkritiker schreiben dagegen auf Twitter, es sei unverständlich, warum Kirchen neben H&M und Primark geöffnet bleiben dürften, während etwa Restaurants – die vielfach ebenfalls Hygienekonzepte umsetzen – schließen müssten. Die taz bezeichnete die Kirchen pauschal als „Superspreader“ – und listete als Beleg vor allem Infektionsherde in Freikirchen auf, bei denen bestehende Regeln offenbar ignoriert wurden oder Familien im Anschluss an Andachten gefeiert hatten.
Gewiss: Auch wenn alle Beteiligten umsichtig handeln, kann das Virus unwissentlich weitergetragen werden. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, rief dazu auf, ein „Höchstmaß an Eigenverantwortung und Solidarität“ zu zeigen. Er rief dazu auf, sich vorsichtig zu verhalten und das neue Regelwerk auch im kirchlichen Bereich zu beachten. „Wir müssen alle Kräfte nutzen, um auch einen Blick auf die besonders von den Maßnahmen Betroffenen zu richten. Denn viele Menschen wird dies wirtschaftlich und existenziell betreffen.“
Gottesdienste unter Einhaltung der geltenden Hygieneauflagen
Bätzing begrüßte, dass die ausdrücklich zu schützenden Gruppen in Kranken- und Pflegeeinrichtungen gerade hinsichtlich möglicher Kontakte, Besuche und seelsorglicher Bedarfe berücksichtigt seien. Außerdem, so betonte der Limburger Bischof, sei er „dankbar, dass Gottesdienste unter Einhaltung der geltenden Hygieneauflagen weiter stattfinden können“.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, äußerte sich ähnlich. Die getroffenen Maßnahmen seien „insgesamt notwendig und verantwortungsvoll“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Der bayerische Landesbischof rief zu weiterer Solidarität auf. „Wenn wir zusammenstehen, werden wir auch durch diese zweite schwere Phase kommen. Besser, es wird jetzt gehandelt, als dass an Weihnachten die Lage noch deutlich schlimmer ist“, sagte er.