München – Die als Rapperin unter dem Namen Lady Bitch Ray bekannte Kulturwissenschaftlerin Reyhan Sahin warnt davor, die Gefahr des Islamismus in Deutschland zu unterschätzen. Denn dieser komme nicht nur in Anschlägen zum Ausdruck und im Wirken von Terrormilizen. Dies schreibt sie in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (Freitag). „Menschen, die sich mit islamistischen Ideologien identifizieren und bereit sind, sich für sie einzusetzen, tragen nicht unbedingt Maschinenpistole und Sprengstoffgürtel. Ihr Antlitz ist im Gegenteil oft freundlich, ihre Argumente sind eloquent.“
Sehr präsenter „legalistischer Islamismus“
Der in Deutschland und Europa sehr präsente, aber für viele Menschen unsichtbare „legalistische Islamismus“ verbreite „seine Scharia-Ideologie völlig legal und gewaltfrei unter dem Dach der Demokratie“. Durch gezielte Bildungsarbeit, Dienstleistungen und Moscheebau übten die entsprechenden Organisationen großen Einfluss auf Muslime in Deutschland aus. „Die größte legalistisch islamistische Organisation in Deutschland ist – neben der arabischen Muslimbrüderschaft – die Islamische Gemeinde Milli Görüs (IGMG).“
Diese habe heute nach eigenen Angaben 304 Moscheevereine in Deutschland und 127.000 Mitglieder in Europa, vor allem in Deutschland. Mit der Regierungsübernahme der AKP in der Türkei seien die IGMG-Moscheen zudem ideologisch verschmolzen mit denen der Türkisch-Islamischen Anstalt für Religion. Zu dieser zählten etwa 900 Moscheevereine in Deutschland, so Lady Bitch Ray weiter. Mittlerweile identifizierten sich auch junge und gut ausgebildete Deutsche, Nachkommen aus der dritten bis vierten Generation mit Migrationsbezug zur Türkei, mit den islamistischen Ideologien.
Ausgrenzung säkularer oder liberaler Muslime
Zu deren Strategie gehörten „vage Positionen und zur Schau gestellte Mäßigung“ nach außen. Intern aber würden säkulare oder liberale Muslime ausgegrenzt. Zudem gehörten ein ideologischer Koranunterricht sowie Vorträge bekannter Islamisten zu den Standardveranstaltungen der IGMG. „Eine wissenschaftlich und publizistisch gut vernetzte Gruppe junger deutscher Muslime fungiert so als Stimme des legalistischen Islamismus.“
Sie setzten sich mehrsprachig und selbstbewusst gegen antimuslimischen Rassismus ein und präsentierten „irreführend das eigene Islamverständnis als rein spirituelle und vermeintlich unkämpferische Auslegung des Islam“, so Lady Bitch Ray. Besonders problematisch sei, dass sich Linke, Liberale und auch Rechtskonservative oft mit diesen Positionen solidarisierten. Und dass auch Politik, Kirche, Medien, Behörden und Institutionen mit solchen Akteuren zusammenarbeiteten. Um gegenzusteuern, brauche man „faktenbasierte Aufklärung und eine offene, konfrontative und mutige Diskussion, in der auch schwierige Wahrheiten ausgesprochen werden können“.