Köln – Als „jahrzehntelange Aneinanderreihung schwerer Fehler“ hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki den Umgang mit einem zweimal wegen Missbrauchs verurteilten Priester bezeichnet. Dessen wiederholter Einsatz in der Seelsorge – auch unter Woelkis Vorgänger Joachim Meisner – sei „absolut unverantwortlich“ gewesen, sagte er am Donnerstag dem kirchlichen Kölner Internetportal domradio.de. Dafür müssten Verantwortliche „herausgefunden und benannt werden“. Er habe den von ihm mit einem neuen Missbrauchs-Gutachten beauftragten Kölner Strafrechtler Björn Gercke gebeten, die Frage der Verantwortung besonders in diesem Fall zu klären.
Priester war trotz Verteilung in drei Bistümern tätig
Der inzwischen 87-jährige A. war trotz der beiden Verurteilungen in drei Bistümern tätig. 1972 wurde der dem Erzbistum Köln angehörende Priester wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“ zu einer Haftstrafe verurteilt. Danach war er ab 1973 im Bistum Münster eingesetzt, bis er 1989 wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen eine Bewährungsstrafe erhielt und kurz darauf als Altenheimseelsorger nach Köln zurückkehrte. Als Ruhestandsgeistlicher war er dann von 2002 bis 2015 in Bochum-Wattenscheid im Bistum Essen. 2019 hatte Woelki dann dem Geistlichen alle priesterlichen Dienste verboten.
Laut Woelki war der Einsatz von Pfarrer A. in der Altenheimseelsorge 1989 „ein schwerer Fehler“. Damals sei nicht auf die warnenden Stimmen gehört worden, die eine enge Kontrolle des Priesters gefordert hätten. Die verantwortlichen Seelsorger im damaligen Dekanat Lövenich hätten nicht ausreichende Informationen erhalten. „Es ist verheimlicht worden“, so der Erzbischof. „Und es ist nicht bestraft worden, als der Kurs der Suspendierung aus vollkommen unerklärlichen Gründen aufgegeben wurde.“ Zu der Zeit standen Kardinal Joachim Meisner und sein Generalvikar Norbert Feldhoff an der Spitze des Erzbistums.
Kardinal Meisner wird falscher Umgang mit dem Fall vorgeworfen
Weiter führte Woelki aus, als verantwortlicher Bischof habe er den Sachverhalt untersuchen lassen und ein kirchenrechtliches Strafverfahren auf den Weg gebracht: „Das Urteil ist gefällt, die Bestätigung durch die Glaubenskongregation in Rom steht noch aus.“
Meisner wird in einem bislang nicht veröffentlichtem Sondergutachten ein falscher Umgang mit dem Fall A. vorgeworfen. Er habe um die Taten des Pfarrers gewusst, aber „pflichtwidrig sowohl auf jegliche Sanktionierung (…) kirchlicherseits als auch auf Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Kinder und Jugendlicher verzichtet“, heißt es in der Expertise der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, aus der die „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ (Donnerstag) zitiert. Auch Meisners Vorgänger, Kardinal Joseph Höffner, habe Pfarrer A. trotz Verurteilung wieder in der Seelsorge eingesetzt und ein kirchenrechtliches Verfahren gegen ihn „pflichtwidrig unterlassen“.
Bistum Münster möchte Veröffentlichung des Sondergutachtens
Unterdessen teilte das Bistum Münster mit, dass es eine Veröffentlichung des Sondergutachtens durch das Erzbistum Köln befürworten würde. Die Untersuchung hätten die Bistümer Essen, Münster und Köln gemeinsam beauftragt, letzteres aber habe die Federführung. Münster habe dazu sämtliche Unterlagen weitergeleitet, aber bis heute nur eine vorläufige Ausarbeitung der Kanzlei vom 1. August 2019 und keine weiteren Erkenntnisse bekommen.
Ein anderes, am Mittwoch veröffentlichtes Gutachten der Kölner Kanzlei Axis im Auftrag des Bistums Essen bescheinigt auch den früheren Verantwortlichen dort deutliche Fehler. Auch der amtierende Essener Bischof Franz-Josef Overbeck räumte Versäumnisse ein. „Ich habe Schuld auf mich geladen“, sagte er „Christ und Welt“. Als er Anfang 2010 kurz nach seinem Amtsantritt in Essen von dem Fall erfahren habe, habe er sich nicht die Personalakte kommen lassen. „Sonst hätte ich die Dimension des Falls vielleicht gesehen“, so der Ruhrbischof.
Auch Münsters Bischof Felix Genn hatte bereits Ende vergangenen Jahres Fehler in dem Fall eingeräumt. Er frage sich, warum er in seiner Zeit als Bischof von Essen (2003 bis 2009) den Fall nicht wahrgenommen habe. Er sei „verärgert darüber“, dass der „Apparat“ ihn nicht informiert habe.