Chur: Protokoll der geplatzten Bischofswahl geleakt

Schon die geplatzte Bischofswahl im Krisen-Bistum Chur war ein ziemlich einmaliger Vorgang – waren doch dem Wahlgremium die Kandidaten des Papstes nicht katholisch genug. Nun wurde auch noch das Sitzungsprotokoll geleakt.
Schon die geplatzte Bischofswahl im Krisen-Bistum Chur war ein ziemlich einmaliger Vorgang - waren doch dem Wahlgremium die Kandidaten des Papstes nicht katholisch genug. Nun wurde auch noch das Sitzungsprotokoll geleakt.

(Symbolfoto: marcelkessler/ Pixabay)

Seit Jahren schreibt das zerstrittene Schweizer Bistum Chur Negativschlagzeilen. Die Gräben zwischen Konservativen und Liberalen in Kirchenvolk und Bistumsleitung sind nach der Amtszeit von Bischof Vitus Huonder (2007-2019) wieder so tief wie in den 1990er-Jahren. So groß die Erwartungen an den neuen Bischof waren und weiter sind, so groß sind nun Zorn, Verbitterung und Entsetzen über die neuerlichen Verwerfungen dieser Woche.

Erst platzte die Bischofswahl im Eklat – und nun wurde auch noch das komplette Sitzungsprotokoll des Wahlgremiums durchgestochen, inklusive aller Anschuldigungen und Unterstellungen. Ein medialer Skandal? Ein Akt innerkirchlicher Demokratie und Befreiung? Auf jeden Fall ein einmaliger Vorgang – der auch einen Schatten auf künftige Bischofswahlen in Deutschland werfen könnte. Warum?

Kirchenrechtlichen Sonderfall in Chur

In Chur wie in vielen deutschen Bistümern gibt es einen kirchenrechtlichen Sonderfall. Ernennt normalerweise überall in der Weltkirche der Papst die Bischöfe frei, räumt der Vatikan einigen deutschsprachigen Diözesen eine Mitsprache bei der Bischofswahl ein. Das geht letztlich auf den sogenannten Investiturstreit des Mittelalters zurück, in dem Papst und Kaiser mittels der Einsetzung der (Reichs-)Bischöfe um ihre Vorherrschaft rangen. In den Verhandlungen der Konkordate zwischen Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert kehrten die Mitbestimmungsrechte der Domkapitel in verschiedenen Formen zurück.

Das Churer Domkapitel hat am Montag freiwillig auf sein Recht zur Bischofswahl verzichtet; weil ihm die Kandidatenliste des Papstes nicht konservativ genug war. Oder soll man sagen: nicht „katholisch genug“? Man traute Franziskus nicht zu, zumindest einen geeigneten Bischof gefunden zu haben. Die Liste sei geeignet, die „Sonderstellung“ von Chur als Hort der reinen Lehre zu beenden und auch dort unhaltbare liberale Zustände wie in Basel oder Sankt Gallen zu schaffen, so argumentiert die Mehrheit der Nichtwahlmänner.

Generalvikar spricht von „feindlicher Übernahme des Bistums Chur“ durch Papst-Liste

Von „feindlicher Übernahme des Bistums Chur“ und einem „progressistischen Kurs der Deutschschweizer Bischöfe“ ist im Protokoll die Rede. Deutlich zugeschrieben werden diese Aussagen dem Wortführer der Konservativen, dem Huonder-Ziehsohn und Generalvikar Martin Grichting. In Rom sind die transalpinen Sonderwahlrechte ohnehin wenig geliebt. Dass das Domkapitel den Papst in dieser Weise brüskiert, dürfte diese Abneigung verstärken. Und auch, dass das offizielle Protokoll der Wahlsitzung durch einen Informanten und das Internetportal kath.ch geleakt wurde. Ein klarer Verstoß gegen den Geist des Konkordatsrechts, das Geheimhaltung über den Wahlprozess vorgibt. „Bruch des päpstlichen Geheimnisses“ ist der Fachbegriff.

Machen solche Leaks Schule, dann könnten auf mittlere Sicht die Mitbestimmungsrechte der deutschsprachigen Diözesen als ganze auf den Prüfstand kommen. Tatsächlich spricht die Argumentation der Elf-zu-zehn-Mehrheit des Kapitels (bei einer Enthaltung wegen Befangenheit) von einem erstaunlichen Sendungsbewusstsein, päpstlicher als der Papst und allemal katholischer als die Nachbarbistümer zu sein. Einer der Wähler bezeichnete gar einen der im Raum anwesenden Kandidaten der Dreierliste – Domherr Joseph Bonnemain – laut Protokoll als „größte Priesterenttäuschung seines Lebens“.

Machtmissbrauch und „unverfrorene Derbheit“

Das Entsetzen unter den Katholiken und den Führungspersönlichkeiten in der Schweizer Kirche ist groß. Die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding spricht von „unhaltbaren Zuständen“ in der aktuellen Bistumsleitung, von Machtmissbrauch und „unverfrorener Derbheit“, mit der andere in der Kirche diffamiert würden. Ein Mitglied der Churer Domherren-Minderheit zitiert kath.ch mit den Worten: „Martin Grichting und Mediensprecher Giuseppe Gracia benehmen sich wie katholische Hooligans. Hooligans geht es nicht um Fußball, sondern um Krawall und Zerstörung.“

Ihre Tage im Bistum Chur seien gezählt. Bis dahin gehe es ihnen nur noch darum, „einen maximalen Schaden anzurichten“. In einem Gastbeitrag für kath.ch zitiert der frühere Abt des Klosters Einsiedeln, Martin Werlen, einen Brief, den er dem Churer Domkapitel nach der Entlassung des beliebten Generalvikars Martin Kopp im März geschrieben hatte. Darin schrieb Werlen, Bistumssprecher Gracia bringe „das ganze Problem auf den Punkt, wenn er sagt: ‚Um das Kirchenvolk geht es hier nicht'“.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

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#DomkapitelLeaks: Das geheime Protokoll der geplatzten Bischofswahl