Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting kritisiert die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln.
Bonn – Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting kritisiert die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln. Er bekundete im Internetportal katholisch.de (Samstag) Unverständnis darüber, dass der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki das von der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erstellte Gutachten über mögliches Fehlverhalten der Bistumsspitze mit Missbrauchsfällen nicht veröffentlichen lässt. „Jede Studie kann Fehler haben“, so Großbölting. Aber es gehe nicht an, die Untersuchung der Diskussion zu entziehen, indem man sie nicht publiziere. Der Wissenschaftler hatte am Mittwoch erste eigene Untersuchungsergebnisse über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Münster vorgelegt.
Woelki habe Betroffenenbeirat benutzt
Woelki hatte die Veröffentlichung des von ihm in Auftrag gegebenen WSW-Gutachtens abgesagt und dies mit „methodischen Mängeln“ begründet. Befürchtet werden unter anderem Rechtsstreitigkeiten mit ehemaligen oder aktiven Entscheidungsträgern, deren Namen genannt werden sollen. Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke soll bis 18. März eine neue Untersuchung vorlegen. Dann sollen auch einzelne Personen, etwa Betroffene oder Journalisten, Zugang zur WSW-Expertise bekommen.
Großbölting warf Woelki vor, den Betroffenenbeirat im Erzbistum benutzt zu haben, um seine Entscheidung zu rechtfertigen. Das sei „nicht zu akzeptieren“. Das Gremium hatte zunächst geschlossen dafür gestimmt, das WSW-Papier nicht zu publizieren. Die beiden Sprecher verließen später den Beirat, weil sie in der entscheidenden Sitzung von Juristen „völlig überrannt“ worden seien, wie sie sagten.
Historiker will Namen relativer Personen der Zeitgeschichte nennen
Laut Großbölting ist nicht zu vermuten, dass das WSW-Gutachten „größere Fehler enthält“. Die Kanzlei veröffentlichte kürzlich ein ähnliches Papier für die Diözese Aachen. Daran orientiere sich auch seine Expertise zu Münster, die im Frühjahr 2022 fertiggestellt sein soll. Zudem verwies der Historiker auf das Verfahren der Stasi-Unterlagen-Behörde, das Täter nenne und trotzdem Persönlichkeitsrechte schütze. „Relative Personen der Zeitgeschichte“ wie Bischöfe oder Personalverantwortliche würden genannt, wenn sie nicht verantwortlich gehandelt hätten. Vor Veröffentlichung würden die Betroffenen benachrichtigt und unterschiedliche Darstellungen in der Studie dokumentiert.
Laut Großbölting gibt es im Äußerungsrecht „tatsächlich noch Lücken“. Das Schlimmste wäre, wenn Täter und Verantwortliche sich dahinter verstecken könnten und eine Aufarbeitung aus Angst vor juristischen Schritten unterbliebe.
Großbölting attestiert „intensives Leitungs- und Kontrollversagen“
Die Studie Großböltings attestiert den verstorbenen Bischöfen Joseph Höffner, Heinrich Tenhumberg und Reinhard Lettmann „intensives Leitungs- und Kontrollversagen“, da sie straffällig gewordene Priester immer wieder in der Seelsorge einsetzten. Viele Fälle zeigten, dass gerade Lettmann „nicht nur moralisch, sondern auch juristisch und kirchenrechtlich nicht korrekt gehandelt hat“.