Köln: Kurzbach kritisiert Woelki

Die Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln stößt auf Kritik beim Vorsitzenden des Diözesanrates, Tim Kurzbach. Zudem wandte sich der oberste Laien-Vertreter in der Erzdiözese und Solinger Oberbürgermeister am Dienstag im Interview gegen die geplante Pfarrei-Reform und den Umgang mit der Katholischen Hochschulgemeinde Köln (KHG).

Solingen/Köln – Die Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln stößt auf Kritik beim Vorsitzenden des Diözesanrates, Tim Kurzbach. Zudem wandte sich der oberste Laien-Vertreter in der Erzdiözese und Solinger Oberbürgermeister am Dienstag im Interview gegen die geplante Pfarrei-Reform und den Umgang mit der Katholischen Hochschulgemeinde Köln (KHG).

Tim Kurzbach. –Foto: Dirk Dehmel für Klingenstadt Solingen

Herr Kurzbach, das Erzbistum Köln hat gerade keine gute Presse.

Kurzbach: Die Verunsicherung ist groß. Mich erreichen gerade viele Briefe von Pfarrgemeinden und Seelsorgern aufgrund von so vielen Vorgängen. Da geht es um die Zukunft der Gemeinde, den Umgang mit der Katholischen Hochschulgemeinde in Köln und natürlich um die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs.

Thema Missbrauch. Haben Sie Verständnis für die Entscheidung von Kardinal Rainer Maria Woelki, das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wegen „methodischer Mängel“ nicht zu veröffentlichen?

Kurzbach: Das fällt mir schwer zu bewerten. Wir kennen ja nur die Argumentation des Erzbistums als Auftraggeber. Die Kanzlei WSW ist ja nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden und kann ihre Position nicht darstellen. Durch den Vorgang ist aber auf jeden Fall viel Vertrauen verloren gegangen. Und mich enttäuscht, dass es nur um die juristische Ebene geht. Ich vermisse ein Zeichen der Geistlichen aus der ersten Reihe, die jetzt doch einmal offen und ehrlich sagen könnten, wie sie mit Missbrauchstätern umgegangen und wo sie schuldig geworden sind. Gerade ein Verantwortlicher in der Kirche müsste es als seine allererste Aufgabe sehen, sein eigenes Gewissen zu prüfen und nicht darauf zu warten, bis ein Gutachter seine Fehler feststellt. Die bekannt gewordenen Fakten zeigen: Es gab schwere Schuld.

Kardinal Woelki ist als Aufklärer angetreten. Jetzt treffen ihn selbst Vertuschungsvorwürfe. Was sagen Sie zu den Rücktrittsforderungen?

Kurzbach: Die Problematik ist, dass wir die Vorgänge nicht bis ins letzte Detail kennen. Ich bin dankbar, dass die Medien die Dinge unabhängig aufklären.

Der Erzbischof hat ein zweites Gutachten beauftragt. Was erwarten Sie davon?

Kurzbach: Wir wissen nicht, wo der große Unterschied zum WSW-Gutachten sein wird. Aber nochmals: Die hohen Herren im oder aus dem Erzbistum sollten einmal selber sagen, wo sie versagt haben und welche Fehler im System es gibt. Enttäuschung löst bei mir noch ein anderes Thema aus.

Und zwar?

Kurzbach: Die Zahlungen an die Opfer. Die Kirche in Deutschland ist eine der reichsten der Welt. Was den Betroffenen jetzt angeboten wird, müssen sie als Affront empfinden.

Aber die Bischofskonferenz hat die Regelzahlung in Anlehnung an die Schmerzengeldtabelle doch von 5.000 auf 50.000 Euro erhöht.

Kurzbach: Das ist völlig unzureichend. Betroffene haben unter dem Missbrauch schließlich ein Leben lang zu leiden. Es gibt keinen ehrbareren Anlass für die Kirche, sich an dieser Stelle arm zu machen.

Fühlen Sie sich als Diözesanrat ausreichend in die Entscheidungen des Erzbischofs über die Missbrauchsaufarbeitung einbezogen?

Kurzbach: Leider nein. Zu den Details und Entscheidungen werden wir nicht um Rat gefragt, sondern erst im Nachhinein informiert – etwa bei der Sitzung des Diözesanpastoralrates oder anderen Infoveranstaltungen. Deshalb bleibt uns nur, eigene Stellungnahmen zu den Entscheidungen zu veröffentlichen, mit denen wir nicht einverstanden sind.

Das betrifft dann auch den Plan, aus den 180 Seelsorgebereichen 50 bis 60 Großpfarreien zu machen?

Kurzbach: Dieses Vorhaben lehnen wir ab. Natürlich wissen auch wir, dass wir uns strukturell neu aufstellen müssen. Die jahrelange Krise hat dazu geführt, dass es weniger Gläubige und Priester gibt. Aber so kann es doch nicht gehen.

Was genau stört Sie?

Kurzbach: Die neue Struktur ist ausgerichtet auf die erwartete Zahl an Priestern, weil ja jede Pfarrei von einem Geistlichen geleitet werden soll. Hier sehe ich eine ungute Fixierung auf das Weiheamt und eine Klerikalisierung. Immer mehr Priester selbst sagen uns, dass es ihrer Berufung gar nicht entspricht, überwiegend Managementaufgaben für einen Großbereich zu übernehmen. Und überhaupt: Die Kirche ist doch mehr als ein Organsiations- und Finanzprodukt. Sie muss im Dorf bleiben und vor Ort erlebbar sein. In diesem Sinne hat Papst Franziskus den Wert der Pfarrgemeinde betont.

Wie stellen Sie sich denn vor, wie es in den Gemeinden weitergehen soll?

Kurzbach: Die Leitung einer Pfarrei muss wesentlich auch auf den Schultern von Laien liegen. Die jetzigen Pläne sehen vor allem vor, klerikale Macht zu organisieren – eben mit einem Priester als obersten Entscheider vor Ort. Dabei wissen wir als getaufte und gefirmte Christen doch am ehesten, wie es gelingen kann, die Freude am Glauben zu den Menschen zu bringen. Wir engagieren uns auch dafür, dem Christentum in der Politik Geltung zu verschaffen, setzen uns etwa für faire Handelsbedingungen oder Menschenrechte ein. Auch für die Vermittlung von Glaubensinhalten. Ich will das Weiheamt nicht infrage stellen, aber es hat doch vor allem eine unterstützende Funktion. Es gilt, die Macht in der Kirche zu teilen.

Der Kardinal lässt überprüfen, ob die jetzige Pfarreistruktur beibehalten werden kann und als größere Einheit nur Sendungsräume eingerichtet werden. Ist das eine Verbesserung?

Kurzbach: Das ist offen. Der Diözesanrat hat sehr darauf gedrungen, in der dafür gegründeten Arbeitsgruppe mitzuarbeiten. Wir entsenden eine Person – und zwar eine Frau, denn der Kreis ist sehr stark männlich dominiert.

Im Rahmen des pastoralen Zukunftsweges gab es eine Menge Veranstaltungen, die auf Teilhabe der Basis ausgerichtet war. Dennoch machen jetzt zahlreiche Pfarreien in Positionspapieren und offenen Briefe Front gegen die Pfarreireform. Was ist da falsch gelaufen?

Kurzbach: Zunächst mal begrüße ich die breiten Beratungsformate. Aber es geht doch nicht, dass sich die Bistumsspitze die dort geäußerten Gedanken anhört und dann selbst die Entscheidungen fällt. Das passt nicht in unsere demokratisch geprägte Kultur und die Art von Beteiligung, die erwachsene und aufgeklärte Menschen im Jahr 2020 erwarten können.

Hohe Wellen schlägt der Umgang der Bistumsleitung mit der Katholischen Hochschulgemeinde Köln (KHG).

Kurzbach: Das ist doch ein klassisches Beispiel für Führungsversagen. Menschen, die sich kritisch mit der katholischen Sexualmoral auseinandersetzen, kann man doch nicht einfach die Homepage abstellen oder mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen drohen – zumal es sich um Themen handelt, die in der allgemeinen kirchlichen Reformdebatte eine große Rolle spielen. Wie hier mit Mitarbeitern umgegangen wird, ist schlicht unprofessionell. Ich erwarte von der Diözesanleitung, in den Diskurs zu gehen und Differenzen auszuhalten. Und wo, wenn nicht in einer Hochschulgemeinde, sollten Fragen der Sexualmoral oder der Beteiligung von Frauen diskutiert werden können?

Von Andreas Otto (KNA)