Diakonie-Präsident: Debatte über Sterbehilfe jetzt führen

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hat den von ihm und anderen evangelischen Theologen gemachten Vorstoß zur Sterbehilfe verteidigt.
München – Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hat den von ihm und anderen evangelischen Theologen gemachten Vorstoß zur Sterbehilfe verteidigt. Zugleich betonte er in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Wochenende), dass ein "Meinungsbildungsprozess" darüber unvermeidlich sei. Dies ergebe sich aus der im Februar 2020 ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgericht.

Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland in Berlin –Foto: © Diakonie/Thomas Meyer

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hat den von ihm und anderen evangelischen Theologen gemachten Vorstoß zur Sterbehilfe verteidigt. Zugleich betonte er in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ (Wochenende), dass ein „Meinungsbildungsprozess“ darüber unvermeidlich sei. Dies ergebe sich aus der im Februar 2020 ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgericht.

Selbstbestimmung als Fetisch?

Die Karlsruher Richter hatten damals das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Sie betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

„Ich habe, als das Urteil kam, sehr kritische Rückfragen gestellt“, sagte Lilie. Es berge die Gefahr, die Selbstbestimmung zu einem „Fetisch“ zu machen. „Gleichwohl stellt uns jetzt die rechtliche Realität, die dieses Urteil geschaffen hat, vor die Frage: Was wollen wir denn anderes als letzten Maßstab respektieren, wenn jemand sein Leben beenden will, als die ethische Selbstkompetenz des Einzelnen zur Entscheidung?“, so der Diakonie-Chef. „Wir werden ja auch in unseren Einrichtungen Menschen haben, die sagen, ich kann mein Leben so nicht mehr aushalten und ich suche jemanden, der mir dabei hilft, aus dem Leben zu gehen. Und wir sollten uns vorher Gedanken darüber machen, wie wir dann antworten wollen.“

Lilie: Betroffene nicht alleine lassen

Auf die Frage, wie eine Beratungslösung bei einem assistierten Suizid aussehen könne, antwortete Lilie: „Ich kann mir vorstellen, dass man bestens qualifizierte Menschen hat, Seelsorger, die Anwältinnen und Anwälte des Lebens sind, die sicherstellen, dass dies wirklich eine selbstbestimmte Entscheidung ist.“ Dabei müsse klar sein: „Wir diskutieren diese Fragen in einer durchökonomisierten medizinischen Welt, auf der ein hoher wirtschaftlicher Druck lastet. Wir leben in einer Welt, in der Menschen einer furchtbaren Logik der Nützlichkeit ausgesetzt sind, in der sie am Ende selber sagen: Ich bin zu nichts mehr nütze.“ Dies gelte es auf jeden Fall zu verhindern.

Er persönlich würde einen Betroffenen nicht alleine lassen wollen, sagte Lilie. „Ich würde, wenn er das wünscht, mit ihm beten, Abendmahl feiern, ihn auf dem letzten Weg begleiten, mit den Angehörigen. Es wäre eine Form von Zulassen und Begleiten, keine Form der Förderung. Es wäre sogar denkbar, dass wir Sterbewillige mit bestimmten Formen und Ritualen begleiten.“ Zugleich betonte der Diakonie-Präsident: „Wir stehen am Anfang und nicht am Ende einer Debatte. Und da wollen wir nichts empfehlen oder gar befehlen.“

Plädoyer in Gastbeitrag

Lilie hatte zusammen mit anderen evangelischen Theologen vor rund zwei Wochen in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ dafür plädiert, einen assistierten professionellen Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen. Dies könne bedeuten, „abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten“. Vertreter der katholischen Kirche aber auch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kritisierten dieses Ansinnen.

kna