Die Rede ist von einer Erosion der Volkskirchen. Die katholischen Bischöfe wollen deshalb bei ihrer Vollversammlung ganz grundsätzlich über die Zukunft des Christentums in Deutschland nachdenken.
Bonn – Quo Vadis, Kirche? Bei ihrer – erstmals online stattfindenden – Frühjahrsvollversammlung von Dienstag bis Donnerstag wollen sich die katholischen Bischöfe ganz grundsätzlich mit der Zukunft des christlichen Glaubens in Deutschland befassen.
Erosion der Volkskirchen?
Innerweltlich betrachtet, geht es den Kirchen gegenwärtig wie anderen Großorganisationen, etwa Parteien oder Gewerkschaften: Sie müssen um Mitglieder und um ihre Stellung im gesellschaftlichen Leben kämpfen. Sinkende Mitgliederzahlen und Einnahmen, eine wachsende religiöse Pluralität, zunehmende Individualisierung und Säkularisierung: Der Trend zeigt nach unten.
Die Rede ist von einer Erosion der Volkskirchen. 272.771 Katholiken sind 2019 ausgetreten – ein absoluter Rekord, der sicher auch mit dem Missbrauchsskandal zusammenhing. Aber nicht nur. Denn auch die protestantischen Kirchen blieben nicht verschont: Sie verzeichneten ebenfalls rund 270.000 Austritte.
Kirchen haben demografisches Problem.
Klar ist: Beide Kirchen haben auch ein demografisches Problem. Die Zahl der Beerdigungen liegt weit höher als die Zahl der Taufen. So verlor die katholische Kirche 2019 insgesamt rund 400.000 Mitglieder und hat noch 22,6 Millionen Angehörige. Damit gehörten noch rund 43,3 Millionen Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen an – gerade mal 52 Prozent. 2019 prognostizierte der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen den Kirchen, dass bis 2060 sowohl die Mitgliederzahlen als auch das Kirchensteueraufkommen auf etwa die Hälfte zurückgehen werden. Da waren die Auswirkungen der Corona-Krise noch gar nicht mitberechnet.
Aus Sicht des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, des Limburger Bischofs Georg Bätzing, spiegelt sich in den Zahlen auch eine wachsende Entfremdung zwischen Kirchenmitgliedern und dem traditionellen Glaubensleben wider. Auch die rückläufigen Werte beim Empfang der Sakramente zeigten eine „Erosion persönlicher Kirchenbindung“.
Bischöfe wollen bei Vollversammlung über aktuelle Debatten hinausdenken
Das Bistum Essen hatte in einer 2018 veröffentlichten Untersuchung herausgefunden, dass ein langer Weg der Entfremdung, gepaart mit Glaubenszweifeln, der Hauptgrund für Kirchenaustritte sind. Besonders die Sexualmoral werde als nicht mehr zeitgemäß empfunden, ebenso wie das Frauenbild und der Zölibat. Aber auch hier stellt sich die Frage, warum die davon nicht betroffenen protestantischen Kirchen ebenso stark verlieren.
Die Bischöfe wollen bei ihrer Vollversammlung über die aktuellen Debatten hinausdenken. Impulse geben sollte eigentlich der in Köln geborene und in Paris lehrende Jesuit Christoph Theobald, der für ein neues ganzheitliches Glaubens- und Gottesverständnis wirbt. Zwar hat der 75-Jährige aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig abgesagt, doch sein Denkansatz dürfte beim Studientag eine Rolle spielen: Die Kirche sei noch zu sehr auf moralische Fragen fixiert, betont er in seinen Büchern. Manchmal habe man den Eindruck, dass sie sich nur mit dem Anfang und dem Ende des Lebens befasse, um so ihren „Marktanteil“ zu verteidigen.
Schlüssel für Zukunft im Spirituellen?
Zentrale Bedeutung für die Zukunft der Kirche haben für den Theologen die Idee der bedingungslosen Gastfreundschaft und das Beispiel Jesu, wie er den Lebensglauben der Menschen stärkt. „Jesus isst mit den Armen, Zöllnern, Prostituierten und wird als Trunkenbold und Vielfraß beschimpft“, betont Theobald. „Er zeigt auf sehr konkrete Weise seine Gastfreundschaft.“
Dazu könnte passen, was die langjährige Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD und Katholikin Gesine Schwan den Kirchen kürzlich ins Stammbuch schrieb: Der Schlüssel für ihre Zukunft liege im Spirituellen – dabei aber nicht im Rückzug aus Politik und Gesellschaft, schrieb sie auf der Internetseite futur2.org. Es mache eben einen Unterschied, „ob ich Menschen, die durch ihre individuelle Lebensweise nicht mehr zum Bruttosozialprodukt beitragen, als Ebenbild Gottes wahrnehme und ihnen so begegne oder als lästige anstrengende Zeitgenossen“, so die Politikwissenschaftlerin. Auch ein Krankenhaus könne man so organisieren, dass es Profit abwerfe oder dass es bestmöglich den Patienten diene.
Weil sich solche Fragen nicht nur in Deutschland stellen, wollen die Bischöfe auch die Erfahrungen anderer europäischer Ländern in den Blick nehmen, in denen die Epoche „nach dem Ende der Volkskirche“ schon länger begonnen hat.