Gutachten sieht zahlreiche Pflichtverletzungen im Erzbistum Köln

Nach monatelangem Streit ist ein Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln vorgestellt worden.
Kölner Dom, Erzbistum Köln, Nach monatelangem Streit ist ein Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln vorgestellt worden.

(Symbolfoto: SatyaPrem/Pixabay)

Nach monatelangem Streit ist ein Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln vorgestellt worden. Sein Team habe die Geschehnisse der Vergangenheit nicht lückenlos rekonstruieren können, sagte der beauftragte Strafrechtler Björn Gercke am Donnerstag in Köln. „Wir haben erhebliche Mängel im Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung im Erzbistum festgestellt.“

Akten über „Brüder im Nebel“

Zudem habe sein Team den Eindruck gewonnen, dass einige Aktenbestandteile fehlten. Vor allem einige ältere Akten seien handschriftlich geführt und zum Teil unleserlich. Im Laufe der Begutachtung seien auch mehrfach Unterlagen nachgereicht worden. Der Strafrechtler erklärte, dass der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017) zusätzlich zu den Beständen des Erzbistums einen eigenen Ordner mit Akten über „Brüder im Nebel“ geführt habe, „in dem er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt“ habe.

Mindestens zweimal habe es Aktenvernichtungen gegeben, wie sie das kirchliche Recht jedoch vorschreibe. Die Gutachter hätten in diesen Fällen weitere Nachfragen bei verschiedenen Stellen des Erzbistums unternommen. Das Team um Gercke wertete 254 Verdachtsfälle zwischen 1975 und 2018 aus. Sie zählten 314 Betroffene von sexuellen Übergriffen durch 202 beschuldigte Kleriker und andere Kirchenvertreter, wobei die Geistlichen mit 127 die größte Gruppe bildeten. 178 der Betroffenen waren männlich und 119 weiblich. Das Geschlecht der restlichen Opfer habe nicht zugeordnet werden können. Bis auf einen Betroffenen waren alle unter 18 Jahre alt.

Verdacht in den meisten Fällen nicht aufgeklärt

In den meisten der 254 Fälle, nämlich in 117, wurde der Verdacht nicht aufgeklärt, wie es hieß. In 45 habe sich der Verdacht bestätig, in 15 ließ er sich entkräften, hieß es. In 68 Fällen war der Beschuldigte bereits verstorben. Die meisten der Opfer (112 von 314) berichten von Übergriffen im Zeitraum vor 1975. 100 Opfer erlebten einen sexuellen Missbrauch, 48 weitere einen schweren sexuellen Missbrauch.

Das Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln hat in 24 der insgesamt 236 ausgewerteten Aktenvorgänge Pflichtverletzungen von Amtsträgern festgestellt. In 104 Vorgängen gebe es darüber hinaus Hinweise auf mögliche Pflichtverletzungen, sagte die Rechtsanwältin und Co-Autorin der Studie, Kerstin Stirner, am Donnerstag vor Journalisten in Köln. Das Handeln der Verantwortlichen im Erzbistum sei über viele Jahre „von Chaos, subjektiv empfundener Unzuständigkeit und Missverständnissen“ geprägt gewesen.

Geändert habe sich dies erst mit Einrichtung einer Interventionsstelle im Jahr 2015. In den Jahren zuvor sei es aufgrund widersprüchlicher Aussagen der Betroffenen schlicht nicht möglich gewesen, die Verhältnisse im Erzbistum zu rekonstruieren. Für das Gutachtender Kanzlei Gercke & Wollschläger wurde laut Angaben der Zeitraum zwischen 1975 und 2018 untersucht. Es gab Übergriffe und Grenzverletzungen von insgesamt 202 Beschuldigten, davon knapp zwei Drittel Kleriker. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 314, darunter 178 männliche und 119 weibliche. Bei 17 Opfern gab es keine Angabe zum Geschlecht.

Erzbistum Köln will Gutachten auf Internetseite veröffentlichen

Das Gutachten wurde am Donnerstag nach monatelanger Debatte vorgestellt. Erzbischof Rainer Maria Woelki hatte es erst im Oktober vergangenen Jahres in Auftrag gegeben. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum – ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Kardinal Woelki es für mangelhaft hält. Kritiker warfen ihm deshalb mangelnden Aufklärungswillen vor.

Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann nahmen als Gäste an der Präsentation teil. Laut Erzbistum kannten sie den Inhalt des Gutachtens bislang nicht. Woelki will sich am 23. März zu den Konsequenzen äußern. Das komplette Gutachten soll gegen 13.00 Uhr auf der Internetseite des Erzbistums Köln veröffentlicht werden, nachdem zunächst der Betroffenenbeirat Einsicht erhalten hat. Ab dem 25. März sollen Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte Möglichkeit zur Lektüre des WSW-Gutachtens bekommen.

Gutachter hatten nur wenige Monate Zeit

Für ihre Auswertung hatten die Rechtsexperten nur wenige Monate Zeit. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki gab das Gutachten vergangenen Oktober in Auftrag. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum – ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Woelki es für mangelhaft hält. In einer teils hart geführten Debatte warfen ihm Kritiker immer wieder fehlenden Aufklärungswillen vor.

Woelki nahm an der Präsentation teil. Laut Erzbistum kannte er den Inhalt des Gutachtens zuvor nicht. Der Kardinal will sich kommenden Dienstag zu möglichen personellen Konsequenzen äußern. Ab dem 25. März sollen dann Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte das unveröffentlichte WSW-Gutachten einsehen dürfen. Beide Untersuchungen liegen bereits der Staatsanwaltschaft vor.