Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sieht das von ihm in Auftrag gegebene Missbrauchsgutachten als Wende.
Köln – Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sieht das von ihm in Auftrag gegebene Missbrauchsgutachten als Wende. „Die Untersuchung, die ist kein Abschluss“, sagte er am Sonntag dem Kölner Online-Portal domradio.de. „Sie markiert so etwas wie einen Neubeginn.“ Er wolle dazu beitragen, dass die Christen im Erzbistum achtsam miteinander umgingen. „Dass wir im Gespräch bleiben, auch wenn wir anderer Meinung sind. Dass wir zusammen um den richtigen Weg ringen, denn es kann nicht mehr so bleiben wie es war.“
In einem Zeitungsinterview sagte Woelki, er habe den Betroffenen sexualisierter Gewalt das Versprechen gegeben, dass die Aufklärung weitergehe. „Da möchte ich mich künftig auch in die Pflicht nehmen lassen“, sagte Woelki der Rheinischen Post (Montag). Das Ergebnis des am Donnerstag vorgestellten und von ihm selbst in Auftrag gegebenen Missbrauchsgutachtens der Kanzlei Gercke Wollschläger habe ihn erschüttert, sagte Woelki. Durch die Untersuchung sei deutlich geworden, dass „die Betroffenen über Jahrzehnte hinweg völlig aus unserem Blick gewesen sind und dass wir sowohl im System als auch in der Organisation des Erzbistums so viele Defizite haben“.
Woelki setzt Hoffnung in Aufarbeitungskommission
Die Entschuldigung, „man habe ja nichts geahnt, kann jetzt eben von keinem mehr gesagt werden“, meinte der Kardinal weiter. „Und natürlich tut die Wahrheit weh. Aber sie ist unbedingt notwendig, weil sie uns hilft, den wichtigen Prozess der Veränderung einzuleiten.“
Eine große Hoffnung setzt Woelki in die neue Aufarbeitungskommission aus Betroffenen, Wissenschaftlern und Juristen, die auch im Erzbistum installiert werden soll. „Die unabhängige Kommission wird uns vor allem sagen können, wie wir die Aufarbeitung betreiben sollen und was die nächsten Schritte sein werden.“ Man wolle sich dabei natürlich auch kontrollieren lassen. „Damit es für alle nachvollziehbar ist, ob wir uns an unsere eigenen Maßstäbe auch gehalten haben.“
Im vorliegenden Gutachten wurden für den Zeitraum zwischen 1975 und 2018 Übergriffe und Grenzverletzungen im Erzbistum untersucht und dabei 202 Beschuldigte ermittelt. Die Zahl der Betroffenen beläuft sich auf 314.Die Untersuchung sollte auch aufzeigen, wie Bistumsverantwortliche mit Fällen sexualisierter Gewalt durch Priester umgingen. Sie hält in 24 von 236 ausgewerteten Aktenvorgängen insgesamt 75 Pflichtverletzungen durch acht Bistumsverantwortliche fest. Die Amtsträger gingen zum Beispiel einem Verdacht nicht nach oder sanktionierten strafbares Verhalten nicht. In keinem einzigen Fall ging es um Strafvereitelung im strafrechtlichen Sinn.
Zu den Beschuldigten zählen unter anderen der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) sowie der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (53), die noch am Donnerstag dem Papst ihren Rücktritt anboten. Beschuldigt sind auch der frühere Generalvikar Norbert Feldhoff (81) und die verstorbenen Erzbischöfe Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017).
Um die Untersuchung hatte es einen monatelangen Streit gegeben. Ein erstes Gutachten einer anderen Kanzlei wollte Kardinal Woelki nicht wie zunächst vorgesehen veröffentlichen, weil er es für fehlerhaft hält. Kritiker warfen ihm mangelnden Aufklärungswillen und schlechte Kommunikation vor.