Der Bundestag will am Mittwoch über mögliche Regelungen der Suizidbeihilfe debattieren. Nachdem das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe aufgehoben hatte, sind viele Fragen offen.
Berlin – Orientierungsdebatten hält der Bundestag zu schwierigen ethischen Themen wie Gentests, Impfstrategien oder zur Organspende. Am Mittwoch will sich das Parlament nun mit der Suizidbeihilfe befassen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht vor gut einem Jahr, das mühsam gefasste Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid von 2015 gekippte hatte, herrscht allerdings bei vielen immer noch Ratlosigkeit.
Der Suizid war in Deutschland nie verboten. Nach der Aufhebung des Paragrafen 217 ist auch die Beihilfe wieder uneingeschränkt möglich. Allerdings hat Karlsruhe das Selbstbestimmungsrecht nun wesentlich weiter gefasst. Die Richter leiteten aus dem Grundgesetz ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab, gleich ob es um Sterbenskranke, Lebensmüde oder an Liebeskummer Leidende geht. Dabei soll der Suizident sich nicht rechtfertigen müssen. Gleichzeitig soll der Staat aber sicherstellen, dass die Entscheidung auf „freiem Willen“ beruht. Und auch die Sorge, den assistierten Suizid „nicht zur gesellschaftlichen Normalität“ zu machen, ist für Karlsruhe legitim.
In der Abwägung zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht ist für Kritiker durch den Richterspruch allerdings eine große Unwucht entstanden. So sprach der ehemalige Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) von einer „schier unlösbaren Aufgabe“ und warnte vor einem „Automatismus“. Und selbst Befürworter eines Rechts auf assistierten Suizid rieben sich bei Formulierungen wie „autonome Selbstbestimmung“ die Augen.
Zwei Vorschläge aus den Reihen des Bundestages wollen nun die Voraussetzungen für die Beihilfe regeln. Die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Petra Sitte (Linke) haben mit SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach einen Gesetzentwurf vorgelegt, der „klarstellen soll, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist“, Missbrauch aber verhindern soll. Dazu soll sichergestellt werden, dass der Entscheidung ein dauerhafter „autonom gebildeter freier Wille“ zugrunde liegt.
Einen ähnlichen Vorschlag stellten Renate Künast und Katja Keul von den Grünen vor. Beide Vorschläge setzen auf Beratungs- und Wartefristen und knüpfen den Zugang zu Medikamenten für die Selbsttötung an ärztliche Verschreibungen. Der Vorschlag der Abgeordneten der Grünen fordert eine zweite ärztliche Beurteilung sowie die Beratung durch private, unabhängige Stellen.
Zur Debatte hat zudem eine überfraktionelle Gruppe um die Unionspolitiker Stephan Pilsinger und Ansgar Heveling, Lars Castellucci (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und Benjamin Strasser (FDP) ein Eckpunktepapier vorgelegt. Sie wollen die Selbstbestimmung durch umfassende Beratung und Begutachtung sicherstellen und mit Angeboten der Suizidprävention verbinden. Die „geschäftsmäßige Suizidhilfe“ soll erneut grundsätzlich strafbar sein, unter bestimmten Voraussetzungen aber „nicht unrechtmäßig“.
Ferner ist ein detaillierter „Diskussionsentwurf“ aus dem Bundesgesundheitsministerium bekannt geworden. Auch er sieht vor, die Hilfe zur Selbsttötung wieder unter Strafe stellen, aber Ausnahmen sollen im Rahmen eines Schutzkonzeptes gelten. Die freie Willensentscheidung sollen Ärzte oder Psychotherapeuten attestieren und äußerer Druck vermieden werden. Details sind demnach in einem eigenen „Selbsttötungshilfegesetz“ zu regeln. Neben einem Werbungsverbot soll eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes den Zugang zum todbringenden Mittel ermöglichen.
Die Orientierungsdebatte ist auf zwei Stunden angesetzt. Eine neue Regelung vor den Bundestagswahlen scheint aber eher unwahrscheinlich. Zu viele Detailfragen sind noch offen. Viele Abgeordnete sehen sich dabei vor einem Dilemma. Einerseits wollen sie eine fragwürdige Sterbehilfepraxis durch Vereine und möglichen Missbrauch verhindern. Andererseits möchten sie ein Schutzkonzept vorlegen, das Karlsruhe nicht gleich wieder kassiert. Nicht wenige fordern zudem vor einer Regelung wie bei anderen Themen eine breite gesellschaftliche Debatte. Dazu wollen auch die Kirchen etwa mit der „Woche für das Leben“ beitragen. Allerdings setzen sie statt auf Suizidassistenz auf persönliche Zuwendung, palliative Begleitung und Seelsorge.