Im internationalen Vergleich hat die katholische Kirche in Deutschland nach Einschätzung des Vatikan-Kinderschutzexperten Hans Zollner bei der Missbrauchsaufarbeitung noch Nachholbedarf.
Osnabrück – Im internationalen Vergleich hat die katholische Kirche in Deutschland nach Einschätzung des Vatikan-Kinderschutzexperten Hans Zollner bei der Missbrauchsaufarbeitung noch Nachholbedarf. „Bei der Prävention liegt die deutsche Kirche mit einigen angelsächsischen Ländern sehr weit vorn“, sagte der deutsche Jesuitenpater im Interview der Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück (Sonntag). „Bei der Aufarbeitung sind wir im Vergleich zu den Vorreitern Australien, USA und Irland hintendran.“
Immenser öffentlicher Druck auf die Kirche spürbar
Das hänge damit zusammen, dass in diesen Ländern staatliche Kommissionen hätten eingesetzt werden können. „Das geht nach unserem Rechtssystem bisher nicht, und das wird schwierig bleiben – auch wenn das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.“ Immerhin sei in Deutschland in den vergangenen Monaten ein immenser öffentlicher Druck auf die Kirche spürbar. „Das hilft“, so der Leiter des Kinderschutzzentrums CCP an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.
Die deutschen Diözesen sollen sich nach Forderung des Theologen und Psychologen auf gemeinsame Standards bei der Aufarbeitung einigen. Im Moment gehe jedes Bistum für sich vor. Manchmal stehe der Wunsch dahinter, gut dazustehen oder das Thema schnell abzuräumen. „Aber es ist ein Trugschluss, dass das funktionieren kann.“
Zollner: „Aufarbeitung nicht nur eine juristische Betrachtung“
Zentral sei die Frage, was Aufarbeitung eigentlich bedeute, erklärte Zollner. „Für mich kann Aufarbeitung nicht nur eine juristische Betrachtung sein. Sie muss andere Perspektiven miteinbeziehen, vor allem die der Betroffenen.“ Die Bistümer müssten frühzeitig mit Betroffenen darüber sprechen, was ihre Erwartungshaltungen an die Aufarbeitung seien. Das erfordere Energie und Mut. „Denn es gibt nun mal unter Betroffenen sehr unterschiedliche Vorstellungen, was gerecht ist und was nottut.“
Im Vatikan ist das Bewusstsein für das Ausmaß des Kindesmissbrauchs laut dem Experten noch nicht bei allen Mitarbeitern vorhanden. „Ich beobachte, dass es dort Leute gibt, die das Problem leugnen, nur kosmetische Konsequenzen wollen und das Thema am liebsten abschließen würden.“ Er arbeite dort aber auch mit Menschen zusammen, die wüssten, dass die Weltkirche noch viele Jahre mit dem Thema zu tun haben werde. Papst Franziskus sei regelmäßig mit Betroffenen in Kontakt. Er habe „über die Jahre sehr viel dazugelernt, darüber, wie tief ihre spirituellen Wunden sind und dass man das nicht einfach nur wegschieben kann“, so Zollner.