Missbrauch: München und Trier geraten in den Blick

Dass Kardinal Marx auf das Bundesverdienstkreuz verzichtet hat, zeigt zweierlei: Die Betroffenen gewinnen in der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche in Deutschland an Gewicht. Und die öffentliche Aufmerksamkeit verschiebt sich von Köln nach München.

Dass Kardinal Marx auf das Bundesverdienstkreuz verzichtet hat, zeigt zweierlei: Die Betroffenen gewinnen in der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche in Deutschland an Gewicht. Und die öffentliche Aufmerksamkeit verschiebt sich von Köln nach München, wo die nächste Publikation einer Untersuchung von Rechtsanwälten ansteht.

Reinhard Kardinal Marx (Foto: Wolfgang Roucka/Erzbischöfliches Ordinariat München [CC BY-SA 3.0/Wikimedia])

Dass Kardinal Marx auf das Bundesverdienstkreuz verzichtet hat, zeigt zweierlei: Die Betroffenen gewinnen in der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche in Deutschland an Gewicht. Und die öffentliche Aufmerksamkeit verschiebt sich von Köln nach München, wo die nächste Publikation einer Untersuchung von Rechtsanwälten ansteht.

Typisches Muster der Aufarbeitung

Zwischen der Ankündigung des Bundespräsidialamts, dem Münchner Kardinal Reinhard Marx das große Bundesverdienstkreuz zu verleihen, und dessen öffentlich erklärtem Verzicht vergingen nur sieben Tage. Der einstige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz begründete seinen Entschluss mit der Rücksicht auf Missbrauchsbetroffene, die zuvor – ebenfalls öffentlich – an der beabsichtigten Auszeichnung Anstoß genommen hatten. Der Leiter der MHG-Studie, der Mannheimer Psychiater Harald Dreßing, sprach in einem Interview mit der “Augsburger Allgemeinen” von einem “typischen Muster” im Prozess der Aufarbeitung: “Eine Reaktion erfolgt erst auf Druck von außen.” In Kreisen der Betroffenen wurde der Entschluss von Marx dagegen durchweg positiv aufgenommen. Dort herrschte der Eindruck vor: Wir haben etwas bewirkt, man hat auf uns gehört. Gut so.

Der Plural erscheint in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig. Denn ob der von einem Kardinal Rainer Maria Woelki wohlgesonnenen Mitglied des Kölner (!) Betroffenenbeirats lancierte Protest als solcher ausgereicht hätte, darüber lässt sich zumindest spekulieren. In München jedenfalls wurde diese Aktion zunächst als eine Art Revanche gedeutet für Marxens Kritik an Woelkis Umgang mit dem lange zurückgehaltenen WSW-Missbrauchsgutachten aus der Feder Münchner (!) Anwälte. Als sich dann aber eine Trierer Betroffeneninitiative dem Protest aus Köln anschloss, kam es an der Isar zu einer neuen Bewertung des Vorgangs. Schließlich war Marx von 2002 bis 2008 Bischof von Trier.

Mit der Einbeziehung der Betroffenen geht es voran.

Man kann das Tempo der Aufarbeitung beklagen, wie Dreßing es tut, und auch der vatikanische Kinderschutzexperte Pater Hans Zollner. Doch mit der von ihnen geforderten Einbeziehung der Betroffenen geht es voran. Betroffene haben sich bereits im Synodalen Weg Gehör verschafft und jüngst auch im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK). Und sie werden in den diözesanen Aufarbeitungskommissionen vertreten sein.

Natürlich – da geht noch mehr. Zollner verwies in einem Interview mit der Verlagsgruppe Bistumspresse auf das Beispiel Frankreich. Dort hat die Bischofskonferenz “vor einigen Jahren beschlossen, dass sie die Opferperspektive bei jeder Vollversammlung an den Anfang ihrer Tagung stellt”. Und bei den Aufarbeitungskommissionen wäre es wichtig, nicht mit einem von den Diözesen bereits festgelegten Statut zu agieren, sondern auch dieses zunächst mit den Betroffenen zu diskutieren, reklamierte der Jesuit.

12 der 27 deutschen Bistümer haben unabhängige Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben

Nach einer aktuellen Recherche der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” haben 12 der 27 deutschen Bistümer eine unabhängige Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben, in der Verantwortliche für rechtswidriges Verhalten benannt werden sollen. Mal wurden Anwaltskanzleien dafür angeheuert, mal Historiker, wobei sich die Fragenkataloge unterscheiden. Nach Einschätzung von Experten wie Dreßing und Zollner krankt dieses Vorgehen nicht nur an fehlenden gemeinsamen Standards, sondern vor allem daran, dass die Perspektive der Betroffenen nicht einbezogen wird.

Doch zurück zu Kardinal Marx. Sein Verzicht auf einen Abstecher ins Schloss Bellevue nach Berlin verschaffte ihm schlagzeilentechnisch gerade mal einen Tag Luft. Dann unterzog ihn die “Zeit”-Beilage “Christ & Welt” einem “Woelki-Test”. Die Kriterien des Gercke-Gutachtens für das Erzbistum Köln legten die Journalisten an einen Fall aus Trier an und kamen nach der Befragung zweier deutscher Kirchenrechtsprofessoren zum Ergebnis: Marx hat sich dort als Bischof mehrere Pflichtverletzungen zuschulden kommen lassen.

Untersuchung vor dem Kirchengericht in Köln

Als in Woelki die Galionsfigur der Konservativen im Feuer stand, waren aus diesem Lager bisweilen Klagen zu hören, dass liberalere Bischöfe wie Overbeck und Bode zu Unrecht geschont würden. Garniert wurde dieser Vorwurf der Ungleichbehandlung mit der Vermutung, diese Einseitigkeit sei deren reformerischer Ausrichtung geschuldet, mit der die säkulare Presse sympathisiere. Die “Christ & Welt”-Recherche eignet sich auch dazu, dieses Narrativ zu widerlegen.

Besonders macht den Trierer Fall aber nicht allein die Verstrickung von Marx. Mit Georg Bätzing, seinerzeit Trierer Generalvikar, ist auch sein Nachfolger als Vormann der Deutschen Bischofskonferenz im Visier, und mit dem aktuellen Bischof Stephan Ackermann deren Missbrauchsbeauftragter dazu. Derzeit wird die Causa noch vom Kirchengericht in Köln (!) untersucht. Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, erscheint völlig offen.

Bischöfe haben Fehler eingeräumt

Klar ist aber, dass Fehler im Umgang mit dem Fall gemacht wurden, das haben die angegriffenen Bischöfe bereits mehrfach eingeräumt. Was auch zeigt: Im Großen und Ganzen sitzen die Bischöfe im selben Boot. Das gilt vor allem für die Altgedienten und diejenigen unter ihnen, die jahrzehntelang verantwortliche Positionen in den Diözesanverwaltungen eingenommen haben. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, wirkt da nicht sonderlich überzeugend. Eine kirchenpolitische Instrumentalisierung einzelner Skandalisierungen auch nicht.

Nach den Erfahrungen von Köln stehen Marx – und nicht nur ihm – in München jedenfalls einige ungemütliche Wochen bevor. Der “Münchner Merkur” will erfahren haben, dass sich die Veröffentlichung des neuen Gutachtens dort noch bis in den Herbst hinziehen wird, denn: “Man rechnet damit, dass sich Verantwortliche mit juristischen Mitteln gegen eine Veröffentlichung wehren werden.” Das klingt dann schon ganz wieder nach “Kölner Verhältnissen”, wo Klagedrohungen die Benennung von Verantwortlichen über viele Monate verhindert hatten.

Von Christoph Renzikowski (KNA)

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