Gelsenkirchen: Polizei stoppt antisemitischen Marsch zur Synagoge

In Gelsenkirchen hat die Polizei einen antiisraelischen Demonstration gestoppt, der offenbar zur Synagoge ziehen wollte. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag, Irene Mihilic fordert nun ein Signal des Bundesinnenministers.
In Gelsenkirchen hat die Polizei einen antiisraelischen Demonstration gestoppt, der offenbar zur Synagoge ziehen wollte. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag, Irene Mihilic fordert nun ein Signal des Bundesinnenministers.

Die Demonstranten wollten zur Synagoge in Gelsenkirchen ziehen. –Foto: Initiative gegen Antisemitismus Gelsenkirchen.

Die Polizei hat am Mittwochabend, 12. Mai 2021, mit einer Polizeikette Übergriffe auf die Synagoge in Gelsenkirchen verhindert. Gegen 17.40 Uhr setzten sich nach Polizeiangaben die Teilnehmer einer Demonstration „spontan vom Bahnhofsvorplatz in Richtung Synagoge in Bewegung“. Hierbei wurden auch antisemitische Rufe skandiert. In Höhe der Gildenstraße/Bahnhofstraße stoppten die zahlreichen Einsatzkräfte der Polizei die etwa 180 Personen.

Beobachtern zufolge wirkte die Lage am Mittwochabend „sehr bedrohlich und aggressiv“. Auch ein Polizeisprecher sprach dieser Redaktion gegenüber von einer „sehr aufgeheizten Stimmung“. Im Vorfeld hätten die der Polizei keine konkreten Hinweise für die antisemitischen Ausschreitungen vorgelegen. Die Polizei setzte den Angaben zufolge auch Schlagstöcke ein, verletzt worden sei jedoch niemand, hieß es.

Polizei: Schutz der ersten Synagoge vorrangiges Ziel

Auf einem Video, das unter anderem der Zentralrat der Juden auf Twitter verbreitet, ist zu sehen und zu hören, wie Demonstranten in Gegenwart von Polizeibeamten antisemitische Parolen skandieren. Das Video ist erkennbar in der Gelsenkirchener Gildenstraße entstanden. Die Polizei greift offenbar nicht ein, obwohl es sich dabei um eine Straftat handeln kann.

Am Donnerstag erklärte ein Polizeisprecher auf Anfrage, habe vor Ort Beweissicherungsmaßnahmen durchgeführt und „Strafanzeigen wegen Volksverhetzung, Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung von Einsatzkräften“ gefertigt. Außerdem habe es Verstöße gegen die Coronas-Schutzverordnung gegeben

Polizeipräsidentin zeigt sich erschüttert

„Primäres Ziel der Einsatzkräfte war der Schutz der jüdischen Synagoge. Um den Schutz des Gotteshauses zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen, wurde aufgrund der Lagebewertung zu diesem Zeitpunkt auf die Festnahme von Tatverdächtigen verzichtet“, sagte der Sprecher. Die Polizei sei zuversichtlich, Tatverdächtige zu ermitteln, um zeitnah Strafverfahren gegen die Aggressoren einzuleiten. Zugleich kündigte er eine Prüfung des Einsatzes daraufhin an, ob Fehler gemacht worden seien.

Polizeipräsidentin Britta Zur verurteilte in einer Stellungnahme „das unerträgliche Auftreten“ der Demonstranten aufs Schärfste und zeigte sich erschüttert.  „Das Recht, zu demonstrieren, ist ein hohes Gut. Wer dieses Recht aber mit Füßen tritt, muss damit rechnen, dass wir konsequent handeln. Diese schrecklichen Bilder sind durch nichts zu entschuldigen“. Die Polizei Gelsenkirchen werde alles dafür tun, die „verantwortlichen Personen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zur Rechenschaft zu ziehen“.

Grüne verurteilen antisemitischen Übergriff

Die innenpolitische Sprecherin der Gründen im Deutschen Bundestag Irene Mihalic kritisierte die Ereignisse und forderten Konsequenzen. „Die antisemitischen Ausschreitungen sind unerträglich und wir müssen ihnen entschlossen entgegentreten. Hierzu bedarf es auch eines klaren Signals des Bundesinnenministers“, sagte die Gelsenkirchener MdB. „Wir werden ihn daher zur Lageeinschätzung und Schilderung seiner Pläne in den Innenausschuss einladen. Wir müssen alles dafür tun, dass Jüdinnen und Juden bei uns sicher sind und nicht in Angst leben müssen.“

Der Gelsenkirchener Kreisverband der Grünen verurteilte in einer Erklärung „diesen antisemitischen Übergriff auf das jüdische Leben in Gelsenkirchen“. Die jüdische Gemeinde und alle Jüdinnen und Juden seien „ein wichtiger Teil unserer Stadt. Solidarität und Unterstützung der gesamten Stadtgesellschaft sollten jetzt und immer eine Selbstverständlichkeit sein“, erklärte Tanja Honka, Kreisvorsitzende der Grünen Gelsenkirchen.

Es sei erschreckend, „wie türkische Nationalisten und andere Gruppen den Konflikt in Israel für ihre Zwecke missbrauchen. Eins muss dabei immer klar sein: Die einzige Seite, auf die man sich mit solchen antisemitischen Übergriffen stellt, ist die der Hamas. Einer Terrororganisation, die tagtäglich das Leben von Jüdinnen und Juden bedroht, während sie die eigene Bevölkerung in Gaza unterdrückt und als menschliches Schild missbraucht“, sagte Jan Dworatzek, Vorsitzender der Gelsenkirchener Grünen. „Solche Gruppen und ihr Gedankengut dürfen keinen Platz in unserer Stadt haben.“

Töns: Stehe an Seite der jüdische Gemeinde

Es sei erschreckend, „wie türkische Nationalisten und andere Gruppen den Konflikt in Israel für ihre Zwecke missbrauchen. Eins muss dabei immer klar sein: Die einzige Seite, auf die man sich mit solchen antisemitischen Übergriffen stellt, ist die der Hamas. Einer Terrororganisation, die tagtäglich das Leben von Jüdinnen und Juden bedroht, während sie die eigene Bevölkerung in Gaza unterdrückt und als menschliches Schild missbraucht“, sagte Jan Dworatzek, Vorsitzender der Gelsenkirchener Grünen. „Solche Gruppen und ihr Gedankengut dürfen keinen Platz in unserer Stadt haben.“

Der Gelsenkirchen SPD-Chef und MdB Markus Töns schrieb auf Twitter: „Ich verurteile aufs schärfste diesen #Antisemitismus in meiner Heimatstadt! Wenige Tage nach dem #tagderbefreiung ist das ganz besonders abscheulich. Ich stehe an der Seite der jüdischen Gemeinde in GE“. Mit deutlichen Worten verurteilte am Donnerstagnachmittag der SPD-Fraktionsvorsitzende Axel Barton die Ereignisse. „So, wie sich die Ereignisse darstellen, wurden Toleranz und Meinungsfreiheit unserer Gesellschaft hier mehrfach missbraucht. Diejenigen, die da gestern unangemeldet demonstriert haben, verstecken ihren blanken Hass auf Menschen jüdischen Glaubens feige hinter dem Deckmantel der Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Konflikt mit den Palästinensern,“ so Barton. „Ihr Ziel ist eben nicht die kritische Auseinandersetzung mit der israelischen Politik. Das Ziel dieser Menschen ist es, Hass zu schüren und Menschen einer anderen Religion das Menschsein, im Endeffekt das schlichte Recht zu Leben abzusprechen, weil sie von eben diesem Hass leben. Ohne den Hass, den sie selbst erzeugen, hätte das, was sie tun keinen „Sinn“ mehr.“

 

Auch die Gelsenkirchener CDU zeigte sich entsetzt von den antisemitischen Ausschreitungen in unmittelbarer Nähe der Gelsenkirchener Synagoge. „Jüdisches Leben hat einen festen Platz in unserer Stadt. Wenn direkt vor der Synagoge solche Parolen gebrüllt werden, wie wir es den Videoaufnahmen der Demonstration von gestern entnehmen mussten, sind mehrere Grenzen überschritten“, erklärte der CDU-Kreisvorsitzende, Sascha Kurth.

„Solche Aufmärsche sind inakzeptabel, Antisemitismus und Hass sind keine Meinungsäußerung. Mit allen Demokraten stehen wir fest an der Seite der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen – Bilder, bei denen jüdische Menschen Angst haben müssen, erinnern an düstere Jahre unserer Geschichte. Das darf, das wird sich nicht wiederholen“, so Kurth zu den antisemitischen Parolen. Wer meine, den Nahost-Konflikt in die Gelsenkirchener Stadtgesellschaft und auf gänzlich Unbeteiligte transportieren zu wollen, habe „keinen Platz in unserer Gemeinschaft“. Die CDU-Kandidatin zur Bundestagswahl im September, Laura Rosen, sagte: „Solche Aufmärsche sollen verängstigen, sie zeigen Hass und machen leider auch deutlich, wie tief Antisemitismus in einigen Teilen der Gesellschaft sitzt.“

Buschmann: Demonstrationen sind zutiefst beschämend

„Die Anti-Israel-Demonstrationen in Gelsenkirchen und anderen deutschen Städten sind zutiefst beschämend“, erklärte am Donnerstagmittag der Gelsenkirchener FDP-Bundestagsabgeordnete Marco Buschmann. „Wer in Deutschland versucht Israel-Flaggen zu verbrennen und antisemitisches Gedankengut zu verbreiten, muss mit der ganzen Härte des Rechtsstaats belangt werden. Gerade angesichts der Eskalation im Nahen Osten müssen sich die jüdischen Gemeinden sicher sein können, dass Deutschland fest an ihrer Seite steht.“

International müsse Deutschland den Raketenterror der Hamas immer wieder auf das Deutlichste verurteilen. „In Deutschland selbst gilt es sicherzustellen, dass israelische und jüdische Einrichtungen wirksam geschützt werden. Dazu gehört auch, die wahrnehmbare Polizeipräsenz vor Ort zu verstärken“, sagte Buschmann, der parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Deutschen Bundestag ist.

Oberbürgermeisterin Welge verurteilt Volksverhetzung

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge hat nach eigene Worte unmittelbar nach den antisemitischen Vorfällen am Mittwochabend in der Nähe der Synagoge in der Innenstadt Kontakt zur Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach, aufgenommen. Sie haben  deutlich gemacht, dass es in Gelsenkirchen nicht toleriert werde, wenn volksverhetzende Parolen gerufen werden. „Wir tolerieren bei uns weder Hass, Hetze, Gewalt noch Antisemitismus. Natürlich darf jeder seine Meinung äußern und bei Demonstrationen die Politik eines anderen Staates kritisieren und damit auch die israelische Politik“, sagte Welge.

Meinungsfreiheit sei  ein wichtiges Gut in Deutschland. Sie rechtfertigte allerdings „keine Volksverhetzung und erst recht keine Gewalt gegen Menschen oder Gebäude“, so Karin Welge. „Für mich ist es unerträglich, wenn bei solchen Demonstrationen offen zur Verfolgung und sogar zur Vernichtung von Juden aufrufen. Welge dankte der Polizei „für ihr umsichtiges Vorgehen und den Schutz der Synagoge“.

„Antisemitismus darauf keine Bühne bekommen“

Sie erwarte aber auch, dass Polizei und Staatsanwaltschaft gegen diejenigen ermitteln, die die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten haben. „Judenfeindliche Hassparolen sind absolut unerträglich und durch nichts zu entschuldigen. Antisemitismus darf in Deutschland nie wieder eine Bühne bekommen.“ In Gelsenkirchen sei Platz für alle Religionen, alle Ethnien, alle Menschen – „außer für die, die andere herabwürdigen, bedrohen oder gar angreifen und ganz sicher nicht für Antisemiten“, so Welge.

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, sagte, er schaue mit großer Sorge ins Heilige Land. „Die Eskalation der Gewalt, die vom Gazastreifen ausgegangen ist, muss enden“, betonte Bätzing. Beide Seiten müssten „an den Tisch des Verhandelns zurückkehren“, forderte er bei einem Treffen mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in Frankfurt.

Zugleich verurteilte der Bischof die jüngsten Angriffe auf Synagogen. „Angriffe auf Synagogen sind reinster Antisemitismus“, sagte er. Dieser müsse mit aller Kraft bekämpft werden. Vor den Synagogen in Bonn und Münster zündeten am Dienstagabend mehrere Personen die israelische Flagge an, wie Medien berichten. In Bonn wurde zudem der Eingang des Gebäudes durch geworfene Steine beschädigt. Der Staatsschutz ermittelt.

Schuster: Vorfälle „mit großem Entsetzen wahrgenommen“

Schuster sagte, er habe die Vorfälle in Nordrhein-Westfalen „mit großem Entsetzen wahrgenommen“. Ein Angriff auf eine Synagoge habe nichts mit einer politischen Meinungsäußerung zu tun; „es ist reiner Antisemitismus“. Mit Blick auf die Lage in Nahost sagte er, für ihn sei unverständlich, „dass in Gaza so viele Raketen lagern“. Der Hamas gehe es nur um Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland erklärte, wer hierzulande jüdische Einrichtungen und Mitbürger „aus falschem Solidaritätsverständnis für die alles andere als friedliche palästinensische Sache“ angreife, habe nichts verstanden oder sei schlicht Judenhasser. Begünstigt werde ein Klima des Israel-Hasses von der extremen Rechten, von Islamisten, aber auch von links.

Boris Spernol

 

Raketen gegen Israel – Angriffe auf Synagogen in Deutschland

(KNA) Angesichts der eskalierenden Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern wächst die Angst vor einem neuen Gaza-Krieg. Die Bundesregierung verurteilte die anhaltenden Raketenangriffe der Hamas auf Israel. Vertreter der katholischen Kirche riefen zu Verhandlungen auf. In Deutschland sorgten derweil Übergriffe auf Synagogen für Empörung und Appelle gegen jede Form von Antisemitismus.

In der Nacht zum Mittwoch hatte der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel weitere Todesopfer gefordert. Ein 52-jähriger Israeli und seine 16-jährige Tochter sowie eine weitere Israelin starben. Seit Beginn der Angriffe wurden nach Angaben des israelischen Außenministeriums rund 1.000 Raketen auf Israel gefeuert und bisher insgesamt fünf Menschen getötet.

Israel reagierte mit Luftangriffen auf rund 500 Ziele im Gazastreifen. Die israelische Armee tötete nach eigenen Angaben zwei ranghohe Vertreter der Hamas. Die Armee bereitet sich laut Medienberichten auf einen neuen Gaza-Krieg vor. Das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza gab die Zahl der Opfer der israelischen Angriffe mit 35 an, darunter 12 Kinder und Jugendliche; rund 230 Menschen wurden verletzt.

Auf dem Jerusalemer Tempelberg, arabisch Haram al-Scharif, kam es am Mittwochmorgen erneut zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei. Zu Ausschreitungen war es in der Nacht in zahlreichen Städten im Westjordanland und Israel gekommen, darunter in der zentralisraelischen, jüdisch-arabisch bewohnten Stadt Lod, in der zwölf Personen verletzt wurden. Israels Präsident Reuven Rivlin rief die Regierung zu einem harten Vorgehen gegen Randalierer und die Hamas auf. Die Gewalt eines „aufgewiegelten und blutrünstigen arabischen Mobs“ sei unverzeihlich.

Die Bundesregierung verurteilte die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen „auf das schärfste“. Die Gewalt sei durch nichts zu rechtfertigen, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Hamas und mit ihr verbündete extremistische Gruppierungen hätten das Ziel, „wahllos und willkürlich Menschen zu töten“.

Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, sprach gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) von einem kritischen Wendepunkt. Nötig sei nun internationaler Druck auf die Hamas wie auf Israel. „Ich befürchte jedoch, dass dies nicht sehr schnell geschehen wird“, so Pizzaballa.

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