Limburg – Schon mehr als ein Jahr hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem – im wahrsten Sinne des Wortes. Atemnot ist ein typisches Symptom für eine Covid-19-Erkrankung. Die Corona-Krise sei „deshalb so bedrohlich, weil das Selbstverständlichste der Welt betroffen ist, nämlich das Atmen“, schreibt der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, in einem Gastbeitrag für den „Mannheimer Morgen“ (Samstag).
Der Limburger Bischof Bätzing und auch der Speyerer Weihbischof Otto Georgens würdigten am Pfingstfest aber nicht nur den Wert des Atems als Lebenselixier. Sie stellten auch eine enge Beziehung des Atmens mit Pfingsten her. Denn nach biblisch-christlichem Glauben werde der „Atem Gottes“ an Pfingsten als Heiliger Geist wirksam, so Bätzing. Diesen Atem Gottes habe man in der Pandemie, die sich nicht nur in medizinischer Hinsicht als „Atemstörung“ entpuppe, besonders nötig.
„Atem Gottes“ sei nicht zufällig eine der ältesten Metaphern für den Heiligen Geist. Dieser sei „die göttliche Lebenskraft, die alles erfüllt und verbindet“, so Bätzing. Die biblischen Begriffe für den Geist bezögen sich in allen Sprachen auf dieses Bild: „ruach“ im Hebräischen, „pneuma“ im Griechischen, „spiritus“ auf Latein bezeichneten ursprünglich den Atmungsvorgang. Atmen bedeutet Leben. „Ohne Atem gehen uns auch die Worte aus, die Stimme fehlt, Singen unmöglich, der Geruchssinn ist gestört“, so Bätzing.
Im Moment stockt vielen Menschen der Atem. Und vielen – so Bätzing – gehe im übertragenen Sinn „die Puste aus“: Homeoffice führe auf Dauer zu Überlastung oder Vereinsamung. „Existenznöte und tiefgreifende Sorgen schnüren vielen Menschen die Luft ab.“
Der Bischofskonferenz-Vorsitzende verweist auf den russischen Schriftsteller, Systemkritiker und Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918-2008). Solschenizyn beschreibt in seinem Buch „Im Interesse der Sache: Erzählungen“ das Glücksgefühl des befreiten Atmens unter einem Baum nach einem Regenguss: „Ich stehe unter einem Apfelbaum, der zu verblühen beginnt, und atme. Nicht allein der Apfelbaum, sondern auch die Gräser ringsumher haben die Feuchtigkeit des Regens aufgesogen – kein Name lässt sich finden für jenen süßen Duft, der die Luft erfüllt. Ich sauge ihn ein mit der vollen Kraft meiner Lunge, und meine ganze Brust spürt den Wohlgeruch. Ich atme, atme – einmal mit offenen Augen, dann wieder mit geschlossenen Augen. Ich weiß nicht zu sagen, was schöner ist.“
Wer tief atmet, fühlt sich lebendig und energiegeladen. Auch in der biblischen Schöpfungsgeschichte ist bei der Erschaffung des Menschen der Atem die Voraussetzung für Lebendigkeit: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“
Der Speyerer Weihbischof Georgens betonte am Pfingstsonntag, der Atem transportiere mehr als Luft. „Er transportiert Worte, Gefühle und das warme Leben, wie es aus dem Leib des Menschen strömt.“ Georgens sagte in seiner Predigt im Speyerer Dom: „Atem ist Leben.“ Und fügte noch einen für einen katholischen Geistlichen eher ungewöhnlichen Satz hinzu: „Anhauchen ist ein intimer Vorgang. Den Atem eines anderen Menschen spüren kann hocherotisch sein. Es kann elektrisieren und ist ein Zeichen von unmittelbarer Nähe und Verletzlichkeit.“
Die Bibel – so der 71-jährige Weihbischof – berichte die Weitergabe des Heiligen Geistes in ähnlicher Weise: „Der auferstandene Christus Jesus hauchte die Jünger an und sprach: ‚Empfangt den Heiligen Geist!'“. Das sei keine beliebige Zeichenhandlung Jesu, sondern ein intimer Vorgang. „Seinen Atem – das, was aus seinem Innersten kommt -, gibt er weiter an die, die in seiner Nachfolge stehen. Er teilt den Jüngern damit sein eigenes Lebensprinzip mit. Mehr noch: Er gibt ihnen Anteil am göttlichen Leben.“
Bischof Bätzing betont, dass ihm „nie zuvor“ die Metapher vom Atem Gottes für den Heiligen Geist „so nah, so tröstlich“ gewesen wie jetzt in der Pandemie. „Und noch nie hat es mich innerlich so gedrängt, zu beten und zu flehen, der Atem Gottes möge kommen und unsere Welt und jeden Menschen erfassen.“
Von Norbert Demuth (KNA)