Auf dem Gelände eines früheren Kinderheims in Kanada sind die Überreste von 215 Kinderleichen gefunden worden.
Ottawa/London – Auf dem Gelände eines früheren Kinderheims in Kanada sind die Überreste von 215 Kinderleichen gefunden worden. Wie der britische Sender BBC am Wochenende berichtete, wurde das Massengrab bei Radar-Untersuchungen gefunden. Bei dem Kinderheim handelt es sich um ein von der katholischen Kirche 1890 eröffnetes Internat für Söhne und Töchter von indigenen Familien nahe der Kleinstadt Kamloops im Westen des Landes. In den 1950er-Jahren waren dort rund 500 Kinder untergebracht; 1969 übernahmen staatliche Behörden die Leitung, 1978 wurde das Heim geschlossen.
Internat von Kamloops war eines von 139 Umerziehungsheimen
Über den Fund hatte die Leiterin der indigenen Gemeinschaft Tk’emlups te Secwepemc, Rosanne Casimir, bereits am Donnerstag informiert. Die Todesfälle wurden den Angaben zufolge nicht dokumentiert, einige der Kinder waren zum Zeitpunkt ihres Todes erst drei Jahre alt. Die indigene Gemeinde will nun mit Gerichtsmedizinern und Museen in der Region zusammenarbeiten, um weitere Hintergründe aufzuklären. Vorläufige Ergebnisse werden Mitte Juni erwartet.
Das Internat von Kamloops war eines von 139 Umerziehungsheimen in Kanada. Zwischen den 1830er-Jahren und 1998 landeten schätzungsweise mehr als 150.000 indigene Kinder in diese Einrichtungen. Dort durften sie oftmals ihre Muttersprache nicht sprechen, viele von ihnen wurden misshandelt oder missbraucht.
Trudeau: „Beschämendes Kapitel der Geschichte“ Kanadas
Kanadas Premierminister Justin Trudeau nannte den Fund auf Twitter „eine schmerzhafte Erinnerung an dieses dunkle und beschämende Kapitel der Geschichte unseres Landes“. Der Bischof von Kamloops, Joseph Nguyen, sicherte der indigenen Gemeinschaft und Chief Rosanne Casimir in einem Brief Unterstützung zu. Es gebe keine angemessenen Worte der Trauer, um diese „schreckliche Entdeckung“ zu beschreiben.
Die Juristin Mary Ellen Turpel-Lafond sagte, der 2008 in Kanada eingerichteten Wahrheits- und Versöhnungskommission seien 50 Todesfälle in Kamloops gemeldet worden. Generell gebe es jedoch „weiter anhaltende massive Probleme“ bei der Rekonstruktion der Ereignisse. Das liege auch daran, dass katholische Stellen immer noch Akten zurückhielten, so die Direktorin des Geschichts- und Dialogzentrums für die Umerziehungsheimen an der Universität von British Columbia in Vancouver gegenüber dem kanadischen Sender CBC.
Berichte von Überlebenden
Der jüngste Fund bestätige die Berichte von Überlebenden, wonach viele Kinder in die Schulen gingen und niemals zurückkehrten. Die Behörden hätten die Kinder oftmals von Schule zu Schule versetzt, so dass unter den 215 Leichen von Kamloops auch Angehörige anderer indigener Gemeinschaften sein könnten, sagte Turpel-Lafond. Bislang sind Experten landesweit 4.100 Todesfällen unter den Kindern bekannt. Die Dunkelziffer liege allerdings mutmaßlich höher, heißt es.