Korchide: Kirchen und Islam durch Gesellschaft herausgefordert

„Wie eine Religion reformieren?“ Diese Frage diskutierten die  Wissenschaftler Michael Seewald und Mouhanad Khorchide mit Jens Oboth (Katholische Akademie) und Detlef Schneider-Stengel (Kreis für interreligiösen Dialog). Für Korchide steht dabei fest: „Christentum und Islam sind darauf angewiesen, dass sie durch kritische Anfragen aus der Gesellschaft herausgefordert werden. Nur so kann ein fruchtbarer Dialog entstehen.“
Mülheim. „Wie eine Religion reformieren?“ Diese Frage die Wissenschaftler Michael Seewald und Mouhanad Khorchide mit Jens Oboth (Katholische Akademie) und Detlef Schneider-Stengel (Kreis für interreligiösen Dialog). Für Korchide steht dabei fest: „Christen und Islam sind darauf angewiesen, dass sie durch kritische Anfragen aus der Gesellschaft herausgefordert werden. Nur so kann ein fruchtbarer Dialog entstehen.“

Mouhanad Khorchide (Foto: Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster)

Mülheim. „Wie eine Religion reformieren?“ Diese Frage diskutierten Dr. Jens Oboth von der Katholischen Akademie und Dr. Detlef Schneider-Stengel vom Bistums-Kreis für interreligiösen Dialog bei einer Online-Abendveranstaltung am Dienstag mit dem katholischen Theologen Prof. Dr. Michael Seewald und dem islamischen Religionspädagogen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide. Für Korchide steht dabei fest: „Christentum und Islam sind darauf angewiesen, dass sie durch kritische Anfragen aus der Gesellschaft herausgefordert werden. Nur so kann ein fruchtbarer Dialog entstehen.“ Beide Hochschullehrer lehren und forschen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Mit ihren 60 zugeschalteten Zuhörern diskutierten sie 115 Minuten lang sehr differenziert und reflektiert die erstaunlich ähnlichen Reformprobleme des katholischen Christentums und des Islams. Seewald und Khorchide, die sich auch als Buchautoren ihres Fachs einen Namen gemacht haben, arbeiteten die Themen Geschlechtergerechtigkeit, Beziehungsethik, Sexualmoral, Schriftverständnis und systemimmanente Reformbereitschaft als gemeinsame religionsübergreifende Baustellen heraus.

Strukturelle Benachteiligung der Frauen

Beide Theologen sehen in ihrer Religionsgemeinschaft eine strukturelle Benachteiligung der Frauen, die in der katholischen Kirche keine Priesterinnen werden und in den Moscheen nicht predigen dürfen und darüber hinaus, getrennt von den Männern, in separaten Moscheeräumen beten müssen. Die moralische Keule des Relativismus, der nicht das wahre Christentum oder den wahren Islam repräsentiere, kennen Seewald und Khorchide, aus Reformdiskussionen und der Auslegung von Neuem Testament und Koran nur zu gut. Allerdings sehen beide Religionsgelehrte den Katholizismus in Sachen Streitkultur im Vorteil. Während in der katholischen Kirche oft verbal hart und manchmal unbarmherzig miteinander diskutiert werde, würden reformorientierte islamische Theologen, die eine zeitgemäße Interpretation des Korans verträten, nicht selten an Leib und Leben bedroht. Khorchide sieht den Islam heute vor einer ähnlichen Herausforderung, wie sie das Christentum und explizit die katholische Kirche während der Aufklärung des 18. Jahrhunderts habe annehmen müssen. Im Islam gebe es eine breite konservative Strömung, die nur die Glaubenslehre der ersten drei islamischen Generationen als authentisch und theologisch maßgebend ansähen. Zu einem fundamentalistischen Schriftverständnis kommen die Aufspaltung in 16 islamische Konfessionen und das Fehlen, einer dem Papst vergleichbaren, Glaubensautorität.

Seewald und Khorchide waren einig, dass sich die Religionen nicht nur aus sich selbst heraus, also rein theologisch reformierten, sondern immer auch dem politischen und gesellschaftlichen Druck und der kritischen Anfrage bedürfen. Khorchide wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele Muslime in Deutschland eine deutlich konservative Auslegung des Islams bevorzugten als ihre Glaubensgeschwister in islamisch geprägten Ländern. In einigen Staaten, so auch im traditionell besonders islamisch-konservativen Saudi-Arabien, sieht der islamische Religionspädagoge seit etwa sechs Jahren eine vor allem politisch motivierte Reformbereitschaft. Beide Theologen nannten aber auch historische und aktuelle Beispiele, etwa die Türkei Erdogans oder die ultrakonservativen Evangelikalen in den USA und in Lateinamerika, die die Religion politisch instrumentalisierten und damit ihrem Sinn nach pervertieren würden. Für Khorchide haben Islam und Christentum auf der Grundlage von Barmherzigkeit, Nächstenliebe und einer Freiheit des Christen- und Islam-Menschen die Aufgabe die Menschen in ihrer Gemeinschaft zu stärken und sie wertzuschätzen. Sein Kollege Seewald sieht die soziale Funktion der Religionen als „ambivalent“ an. Sie trügen sowohl den Keim „der sozialen Integration und Stabilität als auch der Polarisierung und der Brandbeschleunigung in sich.“

Warnung für moralischer Überlegenheit

Michael Seewald warnte die katholischen Christen vor moralischer Überlegenheit und kultureller Hochmütigkeit. „Auch der Islam kennt seine frühen fortschrittlichen und aufgeklärten Theologen und Philosophen. Und die Aufklärung im christlichen Abendland wurde nicht wegen, sondern gegen die und trotz der katholischen Kirche durchgesetzt.“ Mouhanad Khorchide machte seinen christlichen Zuhörern deutlich, dass es viele Muslime als anmaßend empfänden, „wenn europäische Christen mit ihrer Kreuzzugs- und Kolonialgeschichte ihnen vorschreiben wollten, wie sie ihre Religion zu verstehen und zu praktizieren“ hätten. Beide Theologen, die für ihre inspirierende Diskussion viel Publikum Lob bekamen, sehen ihre Religionsgemeinschaften vor der Herausforderung, in einer zunehmend pluralen und säkularen Gesellschaft glaubwürdige und überzeugende Ansprechpartner für Sinn- und Orientierungsfragen zu sein und zu bleiben und dabei immer wieder zeitgemäße Antworten aus ihrem religiösen Fundament zu geben, Auch die Moderatoren Jens Oboth und Detlef Schneider-Stengel bekamen aus dem Auditorium zu hören: „Das war eine sehr wertvolle Veranstaltung. Solche Möglichkeiten des interreligiösen Dialogs brauchen wir öfter.“

Thomas Emons