Das Rücktrittsangebot des Münchner Kardinals Reinhard Marx ist innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche mit Respekt aufgenommen worden.
Düsseldorf/München – Das Rücktrittsangebot des Münchner Kardinals Reinhard Marx ist innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche mit Respekt aufgenommen worden. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, hat sich „tief erschüttert“ über den angebotenen Amtsverzicht des Münchner Kardinals Reinhard Marx gezeigt. „Da geht der Falsche“, sagte Sternberg der „Rheinischen Post“ (Samstag). „Was Marx in der Ökumene, beim Synodalen Weg und auch bei der Missbrauchsaufarbeitung geleistet hat, ist ganz wichtig gewesen.“ Sternberg erinnerte auch daran, dass Marx eine hohe Summe aus seinem Privatvermögen für eine Stiftung für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Kirche aufwenden wollte.
Marx „wichtige Persönlichkeit im Katholizismus“
Nach seiner Einschätzung habe Marx die massive Kritik an der geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn tief getroffen, sagte Sternberg. „Das zeigt auch, dass in der gegenwärtigen Skandalisierung der katholischen Kirche alle in einen Gesamtverruf kommen, egal, wie ernsthaft sie diese Themen angehen oder nicht.“ Sollte der Rücktritt angenommen werden, so Sternberg, „dann fehlt uns ein ganz wichtige Persönlichkeit im deutschen Katholizismus“. Marx hatte nach Kritik von Missbrauchsbetroffenen Ende April auf die Annahme des Bundesverdienstkreuzes verzichtet.
Marx hatte Papst Franziskus zuvor gebeten, seinen Verzicht auf das Amt des Erzbischofs von München und Freising anzunehmen und über seine weitere Verwendung zu entscheiden. In einem Brief vom 21. Mai an den Heiligen Vater legte der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz seine Gründe für diesen Schritt dar, wie das Erzbistum München und Freising mitteilte. In dem Brief heißt es: „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“ Die Untersuchungen und Gutachten der zurückliegenden zehn Jahre zeigten für ihn durchgängig, dass es „viel persönliches Versagen und administrative Fehler“ gegeben habe, aber „eben auch institutionelles oder systemisches Versagen“.
Zollner: „Ein außerordentlich wichtiges Zeichen, das große Hochachtung verdient“
Der deutsche Kinderschutz-Experte Hans Zollner von der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom sieht in dem Rücktrittsangebot von Kardinal Reinhard Marx „ein außerordentlich wichtiges Zeichen, das große Hochachtung verdient“. Der Münchner Erzbischof zeige damit, „dass die Botschaft und die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Amtsträger wichtiger sind als die persönliche Stellung“, sagte Zollner auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag. Das Kinderschutzzentrum (CCP) in Rom, das Zollner als Psychologe leitet, wird zu wesentlichen Teilen von der Erzdiözese München und Freising finanziert. Marx selber unterstützt die Arbeit der international agierenden Fach- und Fortbildungsstelle mit persönlichen Mitteln und hat zudem eine Stiftung initiiert. Ab Herbst wird das CCP zu einem regulären „Institut für Anthropologie“ ausgebaut, das sich interdisziplinären Studien zur menschlichen Würde und der Sorge schutzbedürftiger Personen“ widmen soll.
Der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, bekundete Respekt vor dem Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx. Er habe Marx als einen Geistlichen erlebt, „der bereit war zuzuhören“, sagte Katsch am Freitag auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er, Marx, habe verstanden, dass man nur durch eine Übernahme von Verantwortung einen Neuanfang machen könne. „Marx hat verstanden, dass diejenigen, die den Karren in den Dreck gezogen haben, ihn nicht zugleich wieder herausziehen können.“
Auch Bundespolitik äußert sich zu Rücktrittsgesuch von Marx
Auch aus der Bundespolitik hat es Stimmen zum Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx gegeben. So erklärte der religionspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Benjamin Strasser, am Freitag in Berlin, das Gesuch könne ein Weckruf sein. Es könne die Zielsetzung und Gestaltung der weiteren Aufarbeitung auslösen. Strasser sprach sich weiter dafür aus, dass der gesamte bisherige Aufklärungsprozess zügig, offen und unabhängig bewertet werden müsse. Daraus müssten gemeinsam mit den Betroffenen neue, konkrete Vorschläge für eine konsequente und verlässliche Politik der Aufarbeitung entwickelt werden. Sie müsse weiter zeigen, wie der Opferschutz verbessert und täterschützende Strukturen in der katholischen Kirche abgebaut werden könnten. „Diese Maßnahmen sind für die Kirche schmerzhaft, sind aber unvermeidbar“, so Strasser.
Auch der Religionsbeauftragte der SPD, Lars Castellucci, äußerte sich. „Das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx ist ein wichtiges Zeichen, dass für Fehler und Versäumnisse in der katholischen Kirche auf oberster Leitungsebene auch persönlich Verantwortung übernommen wird“, so Castellucci. Ein Rücktritt sei „respektabel, vielleicht ist er unausweichlich, allerdings auch sicher keine Lösung“. Wichtiger sei es, Aufklärung und Aufarbeitung „endlich verbindlich, transparent und unter Beteiligung der Betroffenen zu leisten“. Er befinde sich derzeit mit Religionsbeauftragten, Betroffenen, Kirchen und weiteren Institutionen im Gespräch darüber, wie in der kommenden Legislaturperiode eine parlamentarische Begleitung der Aufarbeitung aussehen könne, so Castellucci.
Rörig: Unabhängige Aufarbeitung in en Bistümern vorantreiben
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, bekundete ebenfalls Respekt vor dem Rücktrittsgesuch. Dieser Schritt zeige die Dimension und die Verwerfungen auf, zu denen das Bekanntwerden von Kindesmissbrauch in den eigenen Reihen geführt habe, sagte Rörig auf Anfrage. Marx habe bei dem Prozess der Aufarbeitung auch in der Weltkirche eine sehr wichtige Rolle gespielt. Unabhängig von seinem Rücktrittsgesuch müsse die unabhängige Aufarbeitung in den Bistümern mit voller Kraft vorangetrieben werden. Auch in der Regierungspressekonferenz mit Regierungssprecher Steffen Seibert war das Rücktrittsgesuch Thema. Seibert erklärte allerdings auf eine entsprechende Frage, dass er als Regierungssprecher diesen innerkirchlichen Vorgang nicht bewerte.
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki betonte: „Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Kardinal Marx, die er in diesen für die katholische Kirche schweren Zeiten als seine persönliche Konsequenz gezogen hat.“ Er selbst habe bereits vergangenen Dezember den Papst gebeten, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln sowie seine persönliche Verantwortung zu bewerten. „Damit habe ich mein Schicksal damals vertrauensvoll in die Hände des Papstes gegeben.“
Ackermann: Rücktrittsangebot Aufforderung an andere Geistliche
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz ist, sieht in dem Rücktrittsangebot eine Aufforderung an andere Geistliche der katholischen Kirche. „Es ist offensichtlich, dass sein Schritt erneut alle deutschen Bischöfe herausfordert, sich mit der Frage nach der Verantwortungsübernahme und dem Angebot eines Rücktritts auseinanderzusetzen“. Ihm selbst sei diese Frage auch nicht fremd. Weiter drückte Ackermann, der auch als Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz tätig ist, Respekt für Marx‘ Entscheidung aus. „Ich verstehe sein Rücktrittsangebot als starkes Zeichen, dass er mit dieser persönlichen Entscheidung Verantwortung übernehmen will für die Verbrechen sexualisierter Gewalt in unserer Kirche; dass er dies aber auch tut im Namen der Institution, in der er als Erzbischof und Kardinal große Verantwortung trägt.“ Marx‘ Rücktrittsangebot sei auch ein „Zeichen für die notwendige Erneuerung der Kirche“.
Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode erklärte: „Dieser Schritt wird, weil der Kardinal so eine wichtige Figur in der Kirche in Deutschland ist, seine Wirkung haben.“ Für die Erneuerung der Kirche brauche es starke Menschen, so Bode. Die Kirche befinde sich an einem Wendepunkt, kein Stein werde auf dem anderen bleiben. Der Augsburger Bischof Bertram Meier sieht ein „Ausrufe- und Fragezeichen zugleich“. Der „Augsburger Allgemeinen“ sagte er: „Ausrufezeichen: Bemüht euch auf dem Weg der geistlichen Erneuerung voranzuschreiten! Fragezeichen: Inwieweit gelingt es uns, angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor denen die Kirche in Deutschland steht, die Einheit zu wahren?“
Münchner Diözesanratsvorsitzender zu Marx: Starkes Zeichen
Der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising, Hans Tremmel, hat das Angebot von Kardinal Reinhard Marx, auf sein Amt zu verzichten, ein „sehr starkes, ein ehrliches, ein konsequentes und glaubwürdiges Zeichen“ genannt. Zugleich verbinde er damit aber die Hoffnung, dass Papst Franziskus Marx gerade jetzt nicht aus der aktuellen Verantwortung entlasse, da dieser nach wie vor weit über das Bistum hinaus eine enorm wichtige Aufgabe wahrzunehmen habe. „Gerade jetzt brauchen wir Kardinal Marx für den Synodalen Weg, weshalb ich das Angebot schon auch kritisch und ambivalent sehe.“ Der Kardinal gehe einen sehr gradlinigen Weg, und das nötige höchsten Respekt ab, sagte Tremmel. Was die Frage der Mitverantwortung für eine Institution bedeute, die er an oberster Stelle repräsentiere, komme er offensichtlich zu anderen Antworten als manche seiner Amtsbrüder.
Das Leid, das Menschen durch Vertreter der Kirche angetan worden sei, und ein Ausmaß an institutionellen und systemischen Vergehen, das in den letzten Jahren ans Licht gekommen sei, habe Marx nachhaltig erschüttert, schlussfolgert der Diözesanratsvorsitzende. Auch dessen Welt- und Kirchenbild sei durchaus ins Wanken geraten. Marx habe seine individuelle Gewissenserforschung, ob und an welcher Stelle er persönlich Fehler gemacht habe, mit großer Redlichkeit betrieben, so Tremmel. Der Erzbischof sei bereit, den Weg frei zu machen, um das Evangelium aus der tiefen Dunkelheit des Missbrauchs wieder ans Licht zu bringen. Aber er ist nach Einschätzung des Diözesanratsvorsitzenden auch bereit, weiter konsequent gemeinsam mit anderen einen Weg der Umkehr und der Erneuerung zu gehen. Deshalb hoffe er, dass der Papst ihn gerade jetzt nicht aus der aktuellen Verantwortung als Erzbischof von München und Freising entlasse. Auch Franziskus selbst sollte nicht auf seinen Rat verzichten.
Trierer Betroffenenverein Missbit würdigt Marx‘ Rücktrittsgesuch
Der Sprecher des Vereins „Missbrauchsopfer im Bistum Trier“ (Missbit) hat das Rücktrittsgesuch des Münchner Kardinals Reinhard Marx begrüßt. Hermann Schell sprach am Freitag von einem respektablen und anerkennenswerten Schritt. Zugleich betonte er, es sei „wichtig und längst überfällig“, dass ein Bischof in Deutschland für Fehlverhalten der Kirche im Umgang mit Missbrauch und Betroffenen Verantwortung übernehme. Marx‘ Entscheidung komme einem „kleinen Erdbeben“ gleich und bringe andere Bischöfe in Zugzwang. Schell betonte: „Ich hoffe, es ist kein verschenkter Rücktritt, der keinen Widerhall findet.“
Mit „großem Respekt“ reagiert die EU-Bischofskommission COMECE auf den angebotenen Amtsverzicht ihres früheren Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx als Erzbischof von München und Freising. „Seine Entscheidung muss das Ergebnis tiefer und mutiger innerer Einkehr sein“, erklärte am Freitagabend Marx‘ Nachfolger als Vorsitzender der in Brüssel ansässigen Organisation, Kardinal Jean-Claude Hollerich. Diese Entscheidung spiegele „jene Ernsthaftigkeit wider, die stets Marx‘ Handeln als Seelsorger geleitet“ habe. Er bedaure den Rücktritt, so Hollerich, empfinde aber „tiefen Respekt für Kardinal Marx und seine Entscheidung.
Der Jesuit und Luxemburger Erzbischof würdigte auch Marx‘ Leistungen in seinen sechs Jahren an der Spitze der COMECE. Sein Beitrag als Vertreter für Deutschland und später als Vorsitzender (2012-2018) sei „sehr kostbar“ gewesen. Marx habe die Bischofskommission zu einem „dynamischeren Akteur“ im Dialog mit den EU-Institutionen und im Einsatz für eine menschlichere Politik im Sinne des Gemeinwohls gemacht. In der COMECE sind die Bischofskonferenzen der 27 EU-Mitgliedstaaten vertreten. Sitz des Sekretariats ist Brüssel. Die Kirchenvertreter dort halten Kontakt zu Parlamenten und Regierungen, um Politik im Sinne der kirchlichen Soziallehre mitzugestalten.
kna
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