Geschlechtervielfalt in Gottesvorstellungen

„Ist Gott weiblich oder männlich oder doch etwa ganz anders?“, fragt das Frankfurter Bibelhaus in einer Ausstellung. Die Macher sind überzeugt, dass das „Konstrukt“ eines männlichen Gottes der Vergangenheit angehöre.

Dass Gott kein alter, weißer Mann mit Rauschebart sein muss, ist einleuchtend. Dennoch klingt es in manchen Ohren wohl provozierend, wenn Ausstellungsmacher fragen: “Welches Geschlecht hat Gott? Ist Gott weiblich, oder männlich, oder doch etwa ganz anders?”. Genau damit befasst sich ab Mittwoch eine Schau im Frankfurter Bibelhaus – also mit der Geschlechtervielfalt in Gottesvorstellungen. Die Ausstellung mit dem vielsagenden Titel “G*tt w/m/d – Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten” zeigt bis 19. Dezember rund 80 Exponate, darunter archäologische Fundstücke aus dem Heiligen Land.

Geschlechtervielfalt in der Bibel

Leihgaben aus internationalen archäologischen Sammlungen zeugten “von der Vielfalt der Gottes- und Menschenbilder seit vorgeschichtlicher Zeit”, sagt Veit Dinkelaker, evangelischer Pfarrer und Direktor des Bibelhaus Erlebnis Museums am Dienstag vor Journalisten. Den “männlichen und weiblichen Zügen Gottes” entspreche etwa die antike Vorstellung von einem “androgynen Adam” bis hin zu Hermaphroditen – also Zwittern – in der Buchkunst.

Spätestens seit 2018 öffne sich die Gesellschaft für nicht-binäre Geschlechtervorstellungen. “Die Genderfrage ist nichts Neues, keine Modeerscheinung der Gegenwart”, betonte der Museumsdirektor. “Diese Debatte ist uralt – das zeigen unzählige Belege: archäologische Fundstücke, theologische und philosophische Aufzeichnungen oder Überlieferungen aus Alltagskultur und Kunst vergangener Epochen.” Ein unverstellter Blick in die Bibel offenbare, dass “auch dort Geschlechtervielfalt” zu finden sei. Es sei sogar eine “große biblische Vision”, dass letztlich “die Unterschiede aufgehoben sein werden”.

Apostel Paulus als Zeuge

Dinkelaker nahm den Apostel Paulus als Zeugen – ausgerechnet Paulus, der von konservativen Christen nicht selten als Quelle ihrer Ablehnung homosexuellen Verhaltens herangezogen wird. Dinkelaker verwies auf Paulus’ Brief an die Galater: “Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus”, heißt es in der Einheitsübersetzung. Die Begriffe “männlich und weiblich” deuteten hier auf “ein Spektrum” hin, betonte der evangelische Pfarrer und verwies darauf, dass “jeder von uns männliche und weibliche Anteile hat”.

Allerdings hängt diese Bibelstelle auch von der Übersetzung ab. Die Lutherbibel interpretiert die Stelle binärer: “Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.” Der evangelische Pfarrer und Museumsdirektor rief die Kirchen dazu auf, sich “zu befreien aus dem Konstrukt” eines männlichen Gottes, “das uns seit Jahrhunderten einengt”. Es wäre toll, wenn die Ausstellung dazu einen kleinen Beitrag leisten könnte, sagte er.

Woran sich die Geister scheiden

Figurinen und andere Darstellungen der Götterwelt des Orients wiesen auf “mindestens ebenso viele weibliche wie männliche Gottheiten hin”, heißt es in der Schau. Und weiter: “Auch in der Zeit, für die die Schriften der hebräischen Bibel, die im Alten Testament Eingang in das Christentum gefunden haben, einen einzigen männlichen Gott postulieren, zeigen archäologische Funde, dass Gott auch eine Frau sein konnte und manchmal auch mehr als nur ein Geschlecht gehabt hat.” Diese Objekte stammen zum größten Teil aus dem Land zwischen Mittelmeer und Jordan. Im früheren Judäa hätten sich in Ausgrabungen viele weibliche Figuren gefunden, sowohl in Siedlungen als auch in Grabstätten oder Heiligtümern. Zu sehen sind etwa Darstellungen der Fruchtbarkeitsgöttin Aschera.

In einem weiteren Ausstellungsraum dürften sich dann aber die Geister endgültig scheiden: Zu sehen ist eine Holzskulptur, die auf den ersten Blick wie eine Heiligenfigur anmutet – eine schlanke Gestalt in einem Gewand auf einer Mondsichel. Dargestellt wird nicht die Jungfrau Maria, sondern jemand mit Bart: der in Österreich geborene Travestiekünstler Tom Neuwirth alias Conchita Wurst. Die Skulptur des österreichischen Künstlers Gerhard Goder heißt “Conchita Wurst auf der Mondsichel”. Auch sie soll zum Nachdenken über Geschlechtervielfalt anregen.

Von Norbert Demuth (KNA)