Experte: Islamisten-Szene hat sich stark ins Internet verlagert

Nach Ansicht des Islamwissenschaftlers und Extremismus-Experten Hakan Celik hat sich die Islamisten-Szene in Deutschland nicht beruhigt in der Corona-Zeit.
München – Nach Ansicht des Islamwissenschaftlers und Extremismus-Experten Hakan Celik hat sich die Islamisten-Szene in Deutschland nicht beruhigt in der Corona-Zeit. Die meisten Menschen aus diesem Bereich hätten sich zwar "brav an die Hygienebestimmungen gehalten, um nicht in Konflikte mit den Sicherheitsbehörden zu geraten", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag).

–Symbolfoto:Foundry Co/Pixabay

Nach Ansicht des Islamwissenschaftlers und Extremismus-Experten Hakan Celik hat sich die Islamisten-Szene in Deutschland nicht beruhigt in der Corona-Zeit. Die meisten Menschen aus diesem Bereich hätten sich zwar „brav an die Hygienebestimmungen gehalten, um nicht in Konflikte mit den Sicherheitsbehörden zu geraten“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag).

Man habe nicht mehr regelmäßig Seminare oder Workshops in Wohnungen abhalten können, „sondern es hat sich alles noch stärker ins Internet verschoben. Aber ist das eine Beruhigung? Nein. Das Netz wurde mit neuen gefährlichen Inhalten geflutet.“

Zum Beispiel griffen viele neuere islamistische Videos Verschwörungsideologien auf, ergänzte Celik: „Eine Mischung aus Antisemitismus und QAnon-Gedankengut. Über Corona sagen sie beispielsweise, das Virus sei eine Strafe Gottes dafür, was die ungläubigen Chinesen mit den muslimischen Uiguren gemacht haben.“

Er sage dann oft: „Denkt doch mal nach, Leute: Die Pandemie hat auch muslimische Länder hart getroffen.“ Der 41-jährige Celik arbeitet als Deradikalisierer in der islamistischen Szene im Rhein-Main-Gebiet. Der studierte Islamwissenschaftler gehört seit 2014 zum Violence Prevention Network, einer Organisation zur Extremismusprävention.

Salafistische Gruppen wie die Terrormiliz „Islamischer Staat“ oder die somalische Al-Shabaab-Miliz kommen in Deutschland laut dem jüngsten Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz auf auf mehr als 12.000 Anhänger und Sympathisanten.

Ähnlich wie für Rechtsextreme sei die Pandemie auch für die islamistische Szene ein „großes Konjunkturprogramm“, so Celik weiter. Den Salafisten etwa sei es gelungen, „wieder Menschen zu erreichen, die wir in der Beratungsstelle Hessen eigentlich bereits als deradikalisiert eingestuft hatten“. Manche von ihnen seien durch Corona arbeitslos geworden und schauten sich die ganze Zeit Videos im Netz an: „Da kann es dann passieren, dass man plötzlich wieder in diese Gedankenspirale des Extremismus kommt. Das hat den Beratungsbedarf enorm erhöht.“

Die Beobachtung des Verfassungsschutzes, dass der Anteil der Frauen in der Szene gestiegen sei, könne er bestätigen, fügte Celik hinzu: „Wir zählen inzwischen etwa 20 Prozent. Auch da sind durch die stärkere Verlagerung ins Netz ein paar Hürden gefallen. Der Tenor ist oft: Hier in Deutschland wirst du diskriminiert. Es wird dir ein schlechtes Gewissen gemacht, weil du ein Kopftuch trägst.“

Warnungen vor starker Bedrohung durch terroristischen Islamismus

Nach der tödlichen Messerattacke in Würzburg warnen unterdessen Innenpolitiker vor einer starken Bedrohung durch terroristischen Islamismus in Deutschland. Außerdem fordern sie eine ehrliche Debatte über die Kriminalität von Zuwanderern. „Das Thema darf weder politisch instrumentalisiert noch tabuisiert werden“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Die Statistiken zeigten, „dass Zuwanderer insgesamt überdurchschnittlich oft kriminell sind, ihr Anteil an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen allerdings sinkt“, so Middelberg weiter. Es falle auf, dass beispielsweise syrische Zuwanderer unterdurchschnittlich oft kriminell seien, Zuwanderer aus den Maghreb-Staaten oder Georgien dagegen, die selten ein Aufenthaltsrecht hätten, überdurchschnittlich oft: „Das zeigt: Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, einerseits anerkannte Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu integrieren und andererseits Personen ohne Aufenthaltsrecht in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.“

„Religiöser Extremismus war nie verschwunden“

Der Innenpolitiker sprach sich zudem dafür aus, islamistische Gefährder, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, „zügig und ohne Sicherheitslücken“ abzuschieben. Um zu verhindern, dass solche gefährlichen Personen vor der Abschiebung untertauchen, sollte „der maßgebliche Prognosezeitraum, in dem die Abschiebung voraussichtlich durchgeführt werden kann, von drei auf sechs Monate erweitert werden“.

Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Ute Vogt, sagte der Zeitung: „Religiöser Extremismus, insbesondere in der Form des Islamismus, war nie verschwunden.“ In Bezug auf die Tat von Würzburg müsse man „wohl feststellen, dass auch psychische Probleme eine Rolle spielen können. Die psychologische Betreuung von Geflüchteten muss daher auf den Prüfstand gestellt werden.“

Eine weitere Lehre müsse sein, genau hinzuschauen, „wenn es jemand über Jahre nicht schafft, in Deutschland anzukommen und sich eine eigene Existenz aufzubauen“. Von den Flüchtlingen in Deutschland leide nach Einschätzung von Fachleuten mindestens die Hälfte an psychischen Krankheiten, die von Krieg, Folter und Einsamkeit ausgelöst werden. Die wenigsten würden behandelt.

kna