Spektakuläre „Jungfrau von Orleans“ auf den Erfurter Domstufen

Eigentlich sollte es am Freitag losgehen – doch heftige Regenfälle verhinderten die Premiere der „Jungfrau von Orleans“ bei den Domstufen-Festspielen in Erfurt. Umso stimmungsvoller war die erste Aufführung am Samstag.
Eigentlich sollte es am Freitag losgehen - doch heftige Regenfälle verhinderten die Premiere der „Jungfrau von Orleans“ bei den Domstufen-Festspielen in Erfurt. Umso stimmungsvoller war die erste Aufführung am Samstag.

Premiere der „Jungfrau von Orleans“ bei den Domstufen-Festspielen in Erfurt. –Foto: Theater Erfurt.

Als wollte Petrus sich entschuldigen: Ein lauer Sommerabend, Wölkchen und ein Sonnenuntergang wie gemalt hinter dem Erfurter Dom – besser konnte sie kaum sein, die Kulisse für die Besucher der ersten Aufführung der „Jungfrau von Orleans“ bei den Domstufen-Festspielen am Samstagabend. Darunter waren auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), die zuvor schon die Bundesgartenschau besucht hatten und am Sonntag in der Nähe der Wartburg wandern wollten.

Am Freitagabend sah das noch ganz anders aus: Dick eingepackt und mit Regenmänteln und -umhängen saßen die Premierenbesucher auf den klatschnassen Sitzen, als Generalintendant Guy Montavon im heftigen Regen mehr als nur bedröppelt auf die Bühne trat und verkündete: „Wir müssen absagen!“. Als hätte Corona nicht schon genug Wasser in den Wein gekippt in den vergangenen Monaten – bis hin zum weitgehenden Ausfall der Festspiele 2020. Doch auch wenn das Publikum fest entschlossen schien, dem Unwetter zu trotzen – für Ensemble und Technik wäre es nicht machbar gewesen, so Montavon.

Umso größer war die Vorfreude bei allen Beteiligten: „Endlich wieder Kultur live – und das hier vor dieser tollen Kulisse“, sagte Schirmherr Ramelow und sprach sicher vielen aus der Seele. Bis zum 1. August werden – wenn weitere Unwetter ausbleiben – rund 20.000 Besucherinnen und Besucher erwartet, auch wenn wegen der Corona-Pandemie nur die Hälfte der 2.400 Plätze besetzt werden kann.

Und wer da ist, bekommt einiges geboten: Angefangen mit einer der spektakulärsten Open-Air-Kulissen überhaupt auf dem Erfurter Domplatz zwischen Mariendom und Sankt-Severi-Kirche. Dabei sind die oberen der 70 Stufen des Dombergs zu einer riesigen Welle „hochgeklappt“. Keine Anspielung auf himmlische Regenfluten, sondern eine sichtbare Trennung zwischen Diesseits und Jenseits, die nur von den Engeln durchschritten werden kann.

Diese haben übrigens so gar nichts gemein mit den ätherisch-sphärischen himmlischen Heerscharen, die man sich gemeinhin gerne vorstellt. Und statt weißer Kleider und Flügel treten sie ganz in schwarz auf mit dunklen Masken und bis zu vier Meter hohen düsteren Federn. Auch sonst sind sie vielmehr Dämonen als Engel – etwa wenn sie Johanna überzeugen wollen, den (zunächst) feindlichen Ritter Lionel zu töten anstatt sich in ihn zu verlieben und damit möglicherweise auch ihre versprochene Jungfräulichkeit aufs Spiel zu setzen.

Johanna und Lionel sind übrigens die einzigen, die „Gesicht zeigen“ in der Inszenierung des jungen Japaners Tomo Sugao. Alle anderen Figuren tragen Masken – aber nicht als Anspielung auf Corona. Vielmehr zeigen sie, wie sich die junge Bauerntochter in ihrer Andersartigkeit von den Welten des Königshofs wie des Krieges abgrenzt. Als Außenseiterin nimmt sie alle anderen als unwirklich und wenig authentisch wahr.

Die gerade aus heutiger Sicht spürbare Ambivalenz der Johanna von Orleans wird so mehr als deutlich. Auch als Jeanne d’Arc bekannt, wird sie bis heute als Nationalheldin Frankreichs und Märtyrerin anerkannt. Sie war schon immer eine schillernde Gestalt, wurde 1431 als Ketzerin verbrannt und schon 25 Jahre später rehabilitiert. Politische Instrumentalisierungen begleiten sie durch die Jahrhunderte. 1909 wurde sie selig- und 1920 heiliggesprochen.

Die 1881 in Sankt Petersburg uraufgeführte Oper von Peter Tschaikowsky frei nach dem Schauspiel von Friedrich Schiller erzählt die Geschichte der Bauerntochter aus der Zeit des 100-jährigen Krieges, die einem göttlichen Zeichen folgt und für Frankreich den Sieg erringt gegen die englische Besatzung.

Doch kaum wird sie als Retterin gefeiert, da erscheint ihr Vater und beschuldigt sie der Hexerei. Von allen im Stich gelassen wird sie gefangen und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Dieser Scheiterhaufen fehlt übrigens auf den Erfurter Domstufen und wird – passend zur sonstigen Inszenierung – durch spektakuläre Lichteffekte und einen weiteren besonderen Regieeinfall ersetzt. Echtes Feuer wäre schon aus Sicherheitsgründen keine Alternative gewesen – wobei: Himmlisches Löschwasser wäre zumindest am ersten Abend genug vorhanden gewesen

Von Gottfried Bohl (KNA)