Hochwasser: Eine beispiellose Katastrophe

Bistum Essen – Autowracks auf den Straßen, zerstörte Häuser, die Infrastruktur am Boden – das verheerende Hochwasser sei auch im Bistum Essen „eine beispiellose Katastrophe“.

Land unter hieß es auch in Wuppertal-Beyenburg. Foto: Caritasverband Ennepe-Ruhr e. V.

„Der Schock kommt später, wenn die Keller erstmal ausgeräumt sind“, prognostiziert Stefan Hesse, Geschäftsführer des Caritasverbandes für das Kreisdekanat Altena-Lüdenscheid. „Wir planen, eine Gesprächsgruppe für Kinder und Jugendliche einzurichten, damit sie ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten können.“ Während Lüdenscheid vom Hochwasser weitgehend verschont wurde, hat die Flutwelle Altena mit voller Zerstörungskraft getroffen.

Arbeiten werden „ewig“ dauern

„Die Aufräumarbeiten gehen schnell voran“, berichtet Hesse. „Allerorts türmen sich die Trümmerhaufen am Straßenrand.“ Doch rund eineinhalb Wochen nach der Katastrophe seien nach wie vor ganze Straßenzüge nicht passierbar. „Schlamm und Autowracks liegen herum“, führt  Hesse näher aus. „Auf einer Hauptverkehrsader droht ein Haus einzustürzen, sodass die Straße nicht befahren werden darf.“ Er rechnet damit, dass die Arbeiten „ewig“ dauern werden. „Gerade beim Blick auf die Infrastruktur sprechen wir nicht von ein oder zwei Wochen oder vom Ende der Sommerferien.“

Der Schock bei den Bewohnerinnen und Bewohnern sitzt tief. „Mitarbeiterinnen von mir wohnen seit Jahrzehnten in Altena“, sagt der Geschäftsführer. „Mit bebender Stimme haben sie mir berichtet, dass sie schon viele Hochwasser erlebt hätten – doch solch eine Katastrophe sei beispiellos.“ Die Stadt trauere auch um zwei Feuerwehrmänner, die bei Rettungsmaßnahmen in Altena und dem benachbarten Kraftwerk Werdohl-Elverlingsen ums Leben kamen. „Für die Hinterbliebenen werden Spenden gesammelt.“

Von der Naturgewalt gleich doppelt betroffen

Überwältigend sei die Hilfsbereitschaft. „Eine ehrenamtliche Flüchtlingsinitiative aus Fröndenberg hat beispielsweise ihre Hilfe angeboten“, erzählt Stefan Hesse. „Die Mitglieder haben wir auf die verschiedenen  Baustellen verteilt.“ Zahlreiche Spenden erreichen die Gemeinde ebenfalls. „Es ist zwar großartig, wie viele Sachspenden eintreffen“, sagt Hesse. „Doch wir benötigen finanzielle Hilfe.“ Vor Ort sei nicht die Logistik vorhanden, um Kleidung und Co. an die Betroffenen zu verteilen.

Mit einem Bombenangriff vergleicht Sandra Schnell das Bild, das sich ihr nach dem Hochwasser in Altena bietet. „Alles war voller Schlamm und Trümmer“, erzählt sie. Schnell ist Pfarrbeauftragte in der Pfarrei St. Matthäus in Altena. Die Wassermassen treffen die Kleinstadt im Märkischen Kreis mit voller Zerstörungskraft. Sie ist von der Naturgewalt gleich doppelt betroffen. „Ich wohne im Hagener Süden“, erklärt sie. „Somit habe ich das Leid aus beiden Städten mitbekommen.“ Schnell ist bei ihrer Familie zuhause, als die Flut kommt. „Unser Haus liegt erhöht und somit sind wir Gott sei Dank mit einem blauen Auge davongekommen – nur die Wasserversorgung war ausgefallen“, fährt sie fort. „Doch um uns herum war die Straße ein einziger Fluss.“ Die Situation sei beängstigend gewesen. „Ich konnte ja nicht weg.“ Erst nach zwei Tagen hat sich das Wasser soweit zurückgezogen, sodass sie zu ihrer Gemeinde fahren kann.

Dramatische Spuren hinterlassen

„Das ist großes Kino“, sagt Jonas Schulte-Eickholt noch immer ein wenig fassungslos und meint damit nicht die Hochwasserfluten der vergangenen Tage, sondern die ungemein große Hilfsbereitschaft und Solidarität, die seitdem vor Ort entstanden ist. Seit Anfang Juni arbeitet er als Pastoralassistent in der Pfarrei Christus König, zu der Halver, Schalksmühle, Breckerfeld und Hagen-Dahl gehören – und ist jetzt unmittelbar mit einer der größten regionalen Naturkatastrophen der vergangenen Jahre konfrontiert.

Vor allem in Hagen hat das Hochwasser der Volme gewütet und dramatische Spuren hinterlassen. Schulte-Eickholf selbst hat sein Büro in Dahl an der Herz-Jesu-Kirche. Dort und in den benachbarten Stadtteilen Priorei und Rummenohl sind enorme Schäden zu beklagen. „Die Bundesstraße war quasi wie eine zweite Volme“, berichtet Schulte-Eickholt erschüttert und ein wenig erschöpft, da er seit Tagen vor Ort Hilfe leistet.

Evangelische Mitchristen schwer getroffen

Seine eigene Wohnung in der Nähe hat nur geringen Schaden genommen, ebenso die Kirchen der Pfarrei. Doch schon die evangelischen Mitchristen hat es schwer getroffen, deren Kirche gerade erst renoviert wurde und aus der vermutlich alles wieder „herausgerissen werden muss“. Aus der Gemeinde Herz Jesu heraus hat sich eine ehrenamtliche Initiative entwickelt, die vom sogenannten Forum an der Kallestraße aus Unterstützung leistet. In kürzester Zeit hätten sich dort Menschen zusammengefunden, die sich teilweise Urlaub genommen haben, um mitanzupacken und Hilfe zu organisieren.

Am Freitag nach der Katastrophe diente das Forum zunächst als Aufnahmezentrum für Menschen, die nicht mehr aus Dahl herauskamen oder evakuiert wurden, so der Pastoralassistent. Dort konnten sie zunächst im Trockenen zu sich kommen und ausruhen und sich mit Essen versorgen lassen. Denn nicht nur, dass sogar Menschen aus Soest und Münster zum Helfen anreisten, auch ein Koch aus dem näheren Umfeld habe extra seine Gaststätte geschlossen, um für die von den Fluten Betroffenen und die Helfer zu kochen. In den weiteren Tagen wurde unter anderem aufgeräumt, Menschen besucht, deren Schicksal ungewiss war, Wäsche gewaschen und denen, die es brauchten, ein offenes Ohr geschenkt.

„Die Dorfgemeinschaft funktioniert hier“

Da der notwendige Platz für Sachspenden vor Ort fehlt, werden im Forum vor allem Lebensmittelspenden angenommen. Denn auch der örtliche Lebensmittelmarkt ist vom Hochwasser betroffen. Auch über Geldspenden freuen sich die Helferinnen und Helfer, die sich zudem über die Facebook-Gruppe Hagener Süden und den Sportverein TuS Volmetal vernetzt haben. „Die Dorfgemeinschaft funktioniert hier, auch über den Ortsteil hinaus“, zeigt sich Schulte-Eickholt beeindruckt.

Einsatz zeigten auch die Mitarbeiter der Jugendbildungsstätte Don Bosco in Hagen-Rummenohl. Da diese auf einer Anhöhe liegt, blieb sie zwar vom Hochwasser verschont. Zwischenzeitlich konnten aber eine Familie und ein junger Mann aufgenommen werden, der seine Wohnung verloren hat, sagt Hausmeister Petar Komljenovic. Darüber hinaus konnte er die Helfer mit Pumpen ausstatten und mit Kaffee zur Stärkung versorgen. „Es ist grausam, was hier passiert ist“, meint Komljenovic. Straßen und Häuser seien verwüstet und dreckig, überall stünden zerstörte Möbel und weiteres Einrichtungsinventar.

„Selten kam uns eine Naturkatastrophe so nah“

„Sie haben um ihr Hab und Gut gefürchtet, mussten ihre Wohnungen verlassen und haben etwas von ihrem Eigentum oder vieles davon durch das Wasser verloren“, richtet sich auch die  Pfarrei St. Peter und Paul in Hattingen mit einem Schreiben an die Opfer des Hochwassers. „Wir möchten gerne schnell und unbürokratisch helfen, wo Hilfe benötigt wird“, sagt Pfarrer Andreas Lamm. Deshalb bietet die Gemeinde den Betroffenen Hilfe beim Entsorgen von zerstörtem Hausrat, der Beschaffung von Kleidung, Spielzeug, elektrischen Geräten, Möbeln oder anderen wichtigen Dingen sowie den Transport von sperrigen Gegenständen an. „Oder wenn Betroffene auch einfach jemanden zum Sprechen brauchen, können sie sich gerne in unserem Pfarrbüro melden.“

Die Caritas Ennepe-Ruhr unterstützt vor allem den Schwesternverband Altena-Lüdenscheid bei der Spendenaktion für die Opfer der Flutkatastrophe. „Selten kam uns eine Naturkatastrophe so nah. Wir stehen den Opfern im Ennepe-Ruhr-Kreis, aber auch besonders im Märkischen Kreis bei“, sagt Caritasdirektor Dominik Spanke. Der Kleiderladen der Caritas-Ennepe Ruhr hat sich entschlossen, die gesamte neuwertige Bekleidung, auch Unterwäsche und Bettwäsche, für die Flutopfer zu spenden. Außerdem öffnet der Schwelmer Kleiderladen in dieser Notsituation auch für Betroffene der Flut in Gevelsberg und Ennepetal.

Verbindungen funktionieren auch in schlechten Zeiten

Die Propstei St. Marien blickt ebenfalls über die Ortsgrenzen hinaus und unterstützt die Nachbargemeinde in Wuppertal-Beyenburg. Glücklicherweise habe es dort keine Todesopfer gegeben, aber innerhalb kürzester Zeit seien auch hier Häuser und Straßen stark beschädigt oder zerstört worden.

Abgesehen von dem Aufruf nach Spenden sei bereits eine Vielzahl von Helferinnen Helfern vor Ort gewesen, um mitanzupacken. So auch Jugendliche der Schwelmer Jugendverbände, die mit den Beyenburgern durch gemeinsame Wanderungen und Prozessionen an Himmelfahrt und Fronleichnam besonders verbunden sind. Verbindungen, die in guten wie in schlechten Zeiten funktionieren.

Ulrike Beckmann/André Przybyl