Es war – nach dem Aufstand im jüdischen Ghetto 1943 – bereits die zweite Erhebung gegen die deutschen Besatzer. Am Sonntag vor 77 Jahren begann der Warschauer Aufstand. Er endete in einer Orgie von Blut und Zerstörung.
Laschet nimmt an Staatsakt und Gottesdienst in Polen teil
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet nahm am Samstagabend in der polnischen Hauptstadt an einem Staatsakt und Gottesdienst teil, um dort der Opfer der NS-Gewaltherrschaft zu gedenken. „Viele in Deutschland wissen nicht, was die polnische Zivilbevölkerung vor diesem Aufstand, während dieses Aufstands und insbesondere danach zu erleiden hatte“, sagte der NRW-Ministerpräsident. Er halte es für wichtig, dass dieses Thema in den Schulklassen in Deutschland vermittelt werde. Am Sonntag will Laschet am Friedhof für die Opfer in Warschau einen Kranz niederlegen.
Bei ihrer Sommeroffensive war die Rote Armee 1944 bis vor die Tore Warschaus gerückt. Höchste Zeit für die rund 40.000 Soldaten der polnischen Heimatarmee unter Führung von General Tadeusz Komorowski, die Hauptstadt aus eigener Kraft zu befreien und damit das Symbol eines starken und unabhängigen Polen zu schaffen. Ein heroischer Kampf gegen einen (noch) übermächtigen Gegner: Am 2. Oktober 1944 mussten die polnischen Verbände die Waffen strecken. Rund 180.000 Polen, meist Zivilisten, hatten ihr Leben verloren. 60.000 Menschen wurden von den deutschen Besatzern in Konzentrationslager deportiert und Zehntausende Warschauer zwangsevakuiert. Systematisch zerstörten die Deutschen anschließend einen Großteil der nahezu menschenleeren Hauptstadt. Warschau lag in Schutt und Asche.
Seit der Niederlage von 1939 hatten sich Polen im Exil auf die Zeit nach der Nazi-Herrschaft vorbereitet – mit allerdings zwei konkurrierenden Ausrichtungen: Nach dem deutschen Blitzsieg gelang rund 85.000 polnischen Soldaten sowie einer größeren Zahl von Politikern die Flucht. Sie sammelten sich zunächst in Frankreich, wo unter der Führung von General Wladyslaw Sikorski eine Exilregierung gebildet wurde.
Aufstand prägt bis heute das polnische Selbstverständnis
Nach der Niederlage Frankreichs 1940 formierte sich der polnische Widerstand in London neu. Das Erste Polnische Korps kämpfte von da an unter britischem Befehl. Die Londoner Exilregierung steuerte auch die Operationen der in Polen agierenden Heimatarmee, die 1943 und 1944 etwa 350.000 Kämpfer unter Waffen hatte. Dazu gehörte auch ein Netz von Untergrundeinrichtungen wie Schulen, Universitäten und Zeitungen in Polen. Währenddessen setzte Stalin auf die polnischen Kommunisten. Zwei polnische Armeen wurden in der Sowjetunion aufgestellt. 1944 gründete sich das Lubliner Komitee, das von den Sowjets mit linientreuen Kommunisten als provisorische Regierung installiert wurde.
Während die aus London geführte Heimatarmee am 1. August 1944 den Aufstand begann, stoppte die Rote Armee an der Weichsel alle Operationen und schaute ungerührt zu, was sich am anderen Flussufer tat. Stalin hatte kein Interesse an einem Sieg der Heimatarmee, die eine vermutlich antikommunistische Regierung etabliert hätte. Er verwehrte sogar alliierten Flugzeugen, die humanitäre Hilfe und Waffennachschub bringen wollten, die Landung auf den stadtnahen Feldflugplätzen. Nach erbitterten Häuserkämpfen brachten die polnischen Verbände zunächst große Teile Warschaus unter ihre Kontrolle. Doch nach und nach gewannen die Deutschen mit äußerster Brutalität die Oberhand. Vor allem SS- und Polizeieinheiten verübten Massaker. SS-Chef Heinrich Himmler gab den Befehl, sämtliche Einwohner Warschaus zu töten und die Stadt dem Erdboden gleich zu machen.
Noch heute prägt der Aufstand das polnische Selbstverständnis wesentlich mit – als Mythos und als Ereignis, das extrem polarisiert, wie die Historikerin Anna Artwinska berichtet. Einerseits wird der Heroismus der Aufständischen gefeiert. „Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, ob der Kampfentschluss der Aufständischen richtig war. Denn nach dem Aufstand lag Warschau in Schutt und Asche; Tausende Menschen sind ums Leben gekommen.“ Auch um Verrat gehe es in der Debatte, weil die sowjetischen Truppen und polnische Kommunisten Hilfe verweigerten.
Laschet: „Tiefe Scham“
„Die deutschen Gräueltaten in Polen während des Zweiten Weltkrieges erfüllen mich mit tiefer Scham“, sagte Laschet. „Es macht demütig, den Helden des Warschauer Aufstands 77 Jahre später an der Seite unserer Freunde in Warschau zu gedenken. Das gemeinsame Erinnern – und die tiefe Dankbarkeit für Versöhnung und Frieden – bleibt ein zentraler Auftrag an die deutsch-polnischen Beziehungen.“
Laschet hob den Mut der polnischen Männer und Frauen in Warschau hervor, ihre Stadt „gegen Hass, Willkür und Grausamkeit“ zu verteidigen. Laut Staatskanzlei leben heute rund 650.000 Menschen polnischer Herkunft in NRW. „Die zahlreichen deutsch-polnischen Vereine und die polnischen katholischen Gemeinden sind wichtige Orte der Begegnung, der Kulturpflege und der Solidarität“, so der Ministerpräsident weiter. Die Nähe zwischen Deutschland und Polen gelte es zu pflegen und auszubauen.